Montag, 22. Mai 2023

Zum Internationalen Tag zur Erhaltung der Artenvielfalt 2023

 Nachhaltige Gedanken

Zum 25sten Mal jährt sich heute der von der UNO eingeführte Tag der Artenvielfalt. Die Ziele der Konvention sind die Erhaltung der biologischen Vielfalt, die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile sowie die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen ergebenden Vorteile. Zu diesem Zweck wurden im Rahmen der "Agenda 2030" 17 Ziele formuliert.

Seit 2021 haben wir nun die von der UNO ausgerufene Dekade "Biologische Vielfalt" offiziell hinter uns und befinden uns seitdem in der UN-Dekade zur Wiederherstellung von Ökosystemen, zu dem u.a. das Ziel 14

"Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen" und Ziel 15. "Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodendegradation beenden und umkehren und dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende setzen."

Marketing statt Handeln

Folgt man der Internetseite des Bundesamtes für Naturschutz, so ist auch Deutschland bei der Umsetzung dieser Ziele ganz vorn mit dabei, zumindest was vollmundige Aussagen betrifft. Da gibt es Förderprogramme für Renaturierungsvorhaben und ganz viel Aufklärung, mit dem Ziel, "das Bewusstsein für den Nutzen der Ökosysteme in Deutschland zu stärken, den gesellschaftlichen und politischen Diskurs zu fördern und neue Initiativen und Projekte anzuregen."

Natürlich ist der gesellschaftliche und politische Diskurs unübersehbar. So beispielsweise, wenn unter Vermeidung der Fakten seitens politischer und wirtschaftlicher Lobbyorganisationen das sogenannte Heizungsgesetz diskreditiert wird, oder für ein "immer weiter so" im Rahmen der Verkehrs- und Wirtschaftspolitik die mobilitäts- und industriebedingte Flächenversiegelung und Zerstörung von Ökosystemen argumentativ und praktisch vorangetrieben wird oder der Bejagung biodiversitätsfördernder Prädatoren das erzkonservative jägerlateinische Wort geredet wird.

Nur mit der praktischen Umsetzung und einer zwingend notwendigen ökologischen Zeitenwende, da hapert es gehörig. So befindet sich beispielsweise das "Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz des BMUV als zentrales Element für die nationale Umsetzung zur Wiederherstellung der Natur" noch in der Entwicklung. Und ein Gesetzesentwurf für verbindliche EU-Wiederherstellungsziele für Ökosysteme die im Rahmen der "neuen EU-Biodiversitätsstrategie 2030“ steht, wie könnte es anders sein, noch aus.

Die Ursache des Problems als Lösungsstrategie?

Und während die Schere zwischen Arm und Reich innerhalb unserer Gesellschaft und global zwischen Nord und Süd immer weiter auseinanderklafft und die Konzerne angesichts der weltweiten menschengemachten Krisen Bombengewinne kassieren und die Ökosysteme weiterhin ungebrochen ausbeuten und zerstören, drohen die "weiter so"- Lobbyisten mit dem Verlust von Arbeitsplätzen und Wohlstand, sollte irgendjemand auch nur daran denken, etwas grundlegendes an dieser Entwicklung und ihren Grundlagen wie Wachstums- Konsum- und Arbeitszwang, zu ändern.

Was für ein armseliger Eiertanz um den Fortbestand des Verbrenners. Unter dem Deckmantel der Technologieoffenheit kämpft beispielsweise die Mehrheit der Wirtschaftsliberalen und Konservativen in allen Parteien verbissen um das ökonomische „weiter so“ und sind für diese ideologische (und sicherlich persönlich profitable) Verbohrtheit bereit, nichts weniger als die Demokratie, die Artenvielfalt, erträgliche Lebensbedingungen und am Ende die Existenz der Menschheit dafür zu opfern. „Nachhaltigkeit durch Innovation“ lautet das neue Motto für eine ökonomische Strategie, die weiterhin auf ungebremstes Wachstum, Profitorientierung, Ausbeutung und Zerstörung natürlicher und menschlicher Ressourcen setzt und letztendlich die Ursache und damit sicherlich nicht die Lösung für die aktuellen Probleme darstellt.

Keine der aktuellen oder früheren Regierungs- und Oppositionsparteien stellt den neoliberalen ökonomischen Grundansatz wirklich in Frage. Lediglich im Grad der Bereitschaft, die daraus resultierenden sozialen Probleme abzufedern, unterscheiden sich die politischen Geister. Und auch der größte Teil der Menschen in unserer Gesellschaft hat sich diesem ökonomischen System so angepasst, dass sie Veränderungen nicht nur ablehnen, sondern sogar das ernsthaft darüber Nachdenken verweigern. Denn es gibt für sie existenziell Wichtigeres als das Klima, als den Artenschutz, als auch nur das Zulassen des Protestes der „letzten Generation“, als die Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensweise: Die Arbeitsplätze!

Das Prinzip Abhängigkeit als Reformbremse

Es ist kein Problem, auf die Straße zu gehen, vorübergehend die reibungslose Maschinerie der Profitmaximierung zu stören, wenn es darum geht, Arbeitsplätze (im Sinne abhängiger Beschäftigung) zu erhalten, so obsolet sie im Einzelfall objektiv inzwischen auch geworden sein mögen. Es ist auch kein Problem, auf dem Weg zur abhängigen Beschäftigung im eigenen Auto stundenlang im Stau zu stehen. Um des Erhalts des Arbeitsplatzes Willen kalkuliert man dies einfach mit ein. Auch das Auto, der Autobahnbau sichert Arbeitsplätze, mehr als der Ausbau der Bahn und des öffentlichen Nahverkehrs möglicherweise. Aber warum darüber nachdenken, das könnte ja Veränderung bedeuten. Auch Naturkatastrophen, so schlimm sie für die direkt Betroffenen sein mögen, sichern am Ende Wachstum, Profit und Arbeitsplätze. Hilfslieferungen in die Katastrophengebiete, Impfstoffe, Masken und andere Produkte bei Pandemien spülen bares Geld in die Kassen der Produzenten und sogar der Ukrainekrieg stellt ökonomisch betrachtet ein Konjunkturprogramm dar. Das alles lässt sich mit dem Konzept der „Technologieoffenheit“ und der „Nachhaltigkeit durch Innovation“ hervorragend aufrechterhalten.

Der Mythos der Nachhaltigkeit

Klar, Innovation, Nachhaltigkeit, Energiewende etc., das klingt doch gut, damit lässt sich doch die Welt und vor allem die Wirtschaft, so wie sie derzeit funktioniert, retten. Mobilität, Produktion, Wohnen, nur noch mit sauberer Energie, das verspricht Gewinne, Wachstum und Arbeitsplätze. Was sollte daran falsch sein, wenn man es nicht überstürzt und natürlich technologieoffen bleibt und fossile Energieträger und Atomkraft als Übergangstechnologie nutzt?

Ganz einfach: Falsch ist die Vorstellung, dass wir Zeit haben, falsch ist die Vorstellung der Möglichkeit permanenten Wachstums bei begrenzten Ressourcen, falsch ist die Vorstellung, dass Technologien mit immer noch ungeklärten Entsorgungsproblemen und unbeherrschten Folgen als „Übergangstechnologie“ (oder gar grüne Technologie) deklariert, beliebig lange weitergenutzt und sogar ausgebaut werden können, wenn uns unsere menschliche gesellschaftliche Zukunft etwas wert ist. Und nicht zuletzt: So grün Energie auch sein mag, wenn sie dazu genutzt wird, den Planeten weiter auszubeuten, die Umwelt durch die unersättliche Suche nach Rohstoffen zu vernichten, grenzenloses Wachstum von Konsumgüterproduktion und Handel und damit grenzenloses Wachstum von Müll zu garantieren, ist nichts gewonnen. Solange dieses ökonomische System existiert, sind damit bestenfalls die Gewinne nachhaltig.

Für das „weiter so“ scheint kein Opfer zu groß

Immer wieder sind es die Arbeitsplätze, die neben dem internationalen Wettbewerb als Begründung für den massiven politischen und gesellschaftlichen Widerstand gegen Veränderungen ins Feld geführt werden, die für die Bewältigung des menschengemachten Klimawandels, Artensterbens und die Begrenzung der Erderwärmung zwingend notwendig sind. Denn sichere Arbeitsplätze (im Sinne abhängiger Beschäftigung) auf der einen und Gewinnstreben auf der anderen Seite gelten ja als Grundlage für die individuelle und gesellschaftliche Existenz eines Individuums und die Triebkräfte des Wohlstandes. Und tatsächlich sind dieser Vorstellung längst alle gesellschaftlichen Bereiche untergeordnet. Das gesamte Sozialsystem ist an die abhängige Beschäftigung gekoppelt, Gesundheit, Wohnen, ja selbst Grundnahrungsmittel und natürlich Energie sind der privaten Gewinnschöpfung übertragen, was die Abhängigkeit von einem sicheren Arbeitsplatz notwendiger macht, denn je. Wer könnte so etwas um seiner eigenen Existenz Willen für Umwelt- und Klimaschutz in Frage stellen? Es ist kein Zufall, dass die ökonomisch Abhängigen zwar die katastrophalen Folgen unserer Wirtschaftsweise in Form von Naturkatastrophen, Staus und Unfällen auf Straßen und Autobahnen als notwendige Opfer für die eigene an den Arbeitsplatz gekoppelte Existenzsicherheit in Kauf nehmen, Umweltproteste hingegen als persönlichen Angriff statt als Denkanstoß zu empfinden scheinen.

Wenn selbst das Recht auf Denken an Arbeit gekoppelt ist

Nun ist dieses Phänomen ja nicht neu. Die Abwehr gegen die Proteste und Denkanstöße der 68er folgte der gleichen Logik und sogar die Argumente der Etablierten Abhängigen waren damals die gleichen. „Geht erst mal arbeiten!“ Immer wieder dieses „geht erst mal arbeiten, damit ihr das richtige Leben kennenlernt.“ Und auch die Bildungsfeindlichkeit nach dem Muster, „wer studiert, weiß nicht was richtige Arbeit ist und lebt auf unsere Kosten“ (und hat damit auch kein Recht, irgendetwas zu kritisieren, in Frage zu stellen oder auch nur zu hinterfragen), gehörte damals zum Denkvermeidungsrepertoire. Und natürlich galten auch damals jene, die selbst mit legalen Methoden versucht haben, sich Gehör zu verschaffen, grundsätzlich als Chaoten und gehörten ins Gefängnis oder besser noch ins Arbeitslager. Viele der vermeintlich „chaotischen Revoluzzer“ gehören übrigens heute zu jenen, die inzwischen das „wahre Leben“, die „richtige Arbeit“ kennengelernt und dabei zu jenen Abhängigen geworden sind, die sich um ihrer Existenz willen oder aus der durchaus begründeten Angst vor Veränderungen, Arbeitsplatzverlust oder auch nur der Gefährdung eines bequemen konsumorientierten Lebens, gegen die Störungen durch Fridays for Future oder der letzten Generation wenden. Keine Frage: Veränderungen, die man nicht selbst gestalten kann, bergen existenzielle Gefahren, insbesondere in einer Welt, in der Soziales dem wirtschaftlichen Kalkül untergeordnet ist.

Ein Plädoyer für Ökonomieoffenheit

Doch in Wirklichkeit sind nicht nur der Klimawandel, sondern auch ihre ökonomischen Ursachen menschengemacht. Denn direkt an abhängige Beschäftigung gekoppelte soziale Sicherungssysteme sind ebenso wenig Naturgesetz wie Wachstumsorientierung und Profitmaximierung. Selbst abhängige Beschäftigung ist keine zwingende Voraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft und die Menge verfügbarer Konsumgüter durchaus kein allgemeingültiger oder gar sinnvoller Maßstab für gesellschaftlichen oder individuellen Wohlstand. All das sind gesellschaftliche Konventionen, die im Rahmen unserer Verfassung, ohne den Wirtschaftsstandort zu gefährden, die Leistungsbereitschaft der Menschen zu beeinträchtigen oder gar den Sozialismus einzuführen (was je nach Definition nach unserer Verfassung sogar möglich wäre), geändert werden könnten. Mal hier ein Bäumchen pflanzen und dort ein Stück Garten verwildern lassen ist zwar sinnvoll und richtig, wird aber an unseren grundsätzlichen Problemen nichts ändern und entsprechende Forderungen nach „Konsumverzicht“ (denkt an die Arbeitsplätze!) und individuelles, möglichst ehrenamtliches Engagement verschleiern nur die Notwendigkeit einer ökologischen Zeitenwende, in deren Zusammenhang auch unsere aktuelle Wirtschaftsverfassung und die Strukturen unserer Sozialsysteme auf den Prüfstand gehören. Technologieoffen sind wir nun schon seit Beginn der Neuzeit und besonders seit der industriellen Revolution. Ökologisch so richtig vorangebracht hat dies die Welt sicherlich nicht unbedingt. Wie wär‘s mal mit Ökonomieoffenheit, diesbezüglich sind die Möglichkeiten einer demokratischen(!) ökologischen Zeitenwende bislang noch nicht einmal gedacht.

Meine Literatur zum Thema Kulturgeschichte des anthropogenenArtensterbens 

 

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