Samstag, 1. April 2023

Strix Bubo

Die Geschichte eines Uhus

„In der fernen Tiefe der großen Fördenwälder, wo sich Licht- und Schattenbäume hoffnungslos verfilzen …“ So beginnt der dänische Schriftsteller Svend Fleuron (1874-1966) seine Geschichte von Strix Bubo, einem „Nachtraubvogel, einer der letzten seiner Art: ein großer, braungefiederter Uhu.“ Tatsächlich ist der Name Strix Bubo missverständlich, denn Strix ist eine Gattung der glattköpfigen Kauze während Bubo die Gattung der Uhus mit den markanten Federohren bezeichnet. Und so handelt es sich bei dem Protagonisten des dänischen Tierschriftstellers um ein Weibchen des Bubo bubo, der in früheren Zeiten (und auch bei Fleuron) mit Horneule bezeichnet wurde.

Einfach in den Markt gestellt

Die Klärung der Taxonomischen Einordnung habe ich nicht zufällig gleich am Anfang vorgenommen. Denn dieses Buch ist mehr als nur eine zweifellos berührende und wortgewaltige Geschichte der Vertreterin einer sowohl biologisch als auch kulturgeschichtlich außerordentlich faszinierenden Art, deren beinahe-Ausrottung in der nordeuropäischen Fördenlandschaft vom Autor in der um 1920 erschienenen Geschichte „Strix Bubo“ eindringlich beschrieben wird. Der Diederichs-Verlag, der den „Klassiker neu entdeckt“ hat, bezeichnet seine Publikation „in Bezug auf das große Thema Mensch und Natur [als] aktueller denn je.“ Sicherlich nicht ganz falsch, meines Erachtens aber dennoch erklärungsbedürftig hinsichtlich der Person des Autors und der historischen und ideologischen Einordnung seiner Sicht auf die Natur.

Wenn Bilder vor dem geistigen Auge entstehen

Svend Fleuron führt den/die LeserIn in die dichten Wälder der dänischen Förden direkt zur in einer Eiche versteckten Höhle in deren Tiefe sich der gewaltige Uhu vor dem Tageslicht verbirgt. Einfühlsam und wortreich, distanziert und präzise lässt der Autor seine literarischen „ZuschauerInnen“ am Leben des beinahe unbesiegbaren Herrschers des Waldes mit seiner fürchterlichen Gier, seinem Überlebenswillen, seiner Trickserei und seinen vergeblichen Versuchen, Nachkommen großzuziehen, teilhaben. Eine grandiose Geschichte, zumal seine einzige wirkliche Bedrohung, in der Profitgier des Menschen liegt. Der wird vor allem vom Leuchtturmwärter „Vogelhansen“ oder einfach dem „Vogel“ repräsentiert. Der nämlich hat es sich zur profitablen Aufgabe gemacht, Sammler mit möglichst seltenen Vogeleiern, Jäger mit Uhus und anderen Raubvögeln zur Jagd und Zoos und Tierparks mit wilden Vögeln zu versorgen. Die Feindschaft zwischen Strix Bubo und diesem Menschen, der von Fleuron als „kleiner untersetzter Mann mit einer langen Hakennase, die wie ein Hahnenschnabel unter einem paar kleiner stechender Augen vorspringt“ beschrieben wird, hält ein Leben lang.

Der allgegenwärtige Kampf ums Überleben

Ebenso wie der Kampf gegen die Folgen des menschlichen Vordringens in die ausgedehnten Fördenwälder, die Zersiedelung und hemmungslose Abholzung, die den mächtigen Vogel immer wieder zur Flucht in abgelegenere Gebiete zwingt. Und dazwischen immer wieder die Kampfszenen des Uhus, des „fliegenden Wolfes“, des „Tyrannen des Hochwaldes, der seinen Zins von allen eintreibt“ mit gefährlichen tierlichen Gegnern wie dem Marder Prank, dem „blutrünstigsten Räuber des Waldes“ oder der Kreuzotter, die aber den „Waffen“ des mächtigen Raubvogels am Ende nicht gewachsen sind. Es ist die Beschreibung des ewigen Existenzkampfes in der Natur, der tierischen Instinkte und nicht zuletzt des menschlichen Expansionsdrangs, dem die wilde Natur am Ende weichen oder sich fügen muss.

Das Frösteln zwischen den Zeilen

So genau die Beobachtungen zum Verhalten der Tiere des Waldes auch sind, Sven Fleurons Wortwahl ist die eines Jägers, was trotz eindringlicher Bilder die emotionale Distanz des Autors zum Geschehen zu unterstreichen scheint. Und so haben die Tiere zwar Instinkte, aber kaum Emotionen oder gar Kultur, wenn man von Wut, Raublust, Mordgier oder Fortpflanzugstrieb einmal absieht. Im Gegensatz zur heutigen wissenschaftlichen Sichtweise zu Emotionalität und Kultur nichtmenschliche Tiere, stellt sich das Tierbild des Autors alles andere als modern dar. Bei der politischen Ausrichtung Svend Fleurons*, über den zumindest im Internet erstaunlich wenig zu erfahren ist, hinterlässt die Lektüre zwischen den Zeilen bei kulturgeschichtlich vorbelasteten LeserInnen tatsächlich einen faden Beigeschmack. So packend und mitreißend sich die Lebensgeschichte von Strix Bubo auch liest, und so interessant sie als Zeitdokument auch sein mag, meines Erachtens hätte der Verlag die Geschichte mit einer entsprechenden Einführung zu Autor und Inhalt versehen sollen. Denn so ist es einfach nur die Neuauflage einer Geschichte, deren ideologische Hintergründe und tatsächliche Bedeutung die oberflächliche Bewertung durch den Verlag „ist in Bezug auf das große Thema Mensch und Natur aktueller denn je“ alles andere als gerecht wird. Das gleiche könnte man zu jedem beliebigen Tierbuch seit der Antike schreiben.

Svend Fleuron: Strix. Die Geschichte eines Uhus. Diederichs 2023. Gebunden, 191 Seiten.

*Frank-Rutger Hausmann: Kollaborierende Intellektuelle in Weimar – Die ›Europäische Schriftsteller-Vereinigung‹ als ›Anti-P.E.N.-Club‹ PDF https://core.ac.uk/download/pdf/14514231.pdf

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen