Buchvorstellung von Markus Bötefür
Als die Corona-Pandemie im chinesischen Jahr der Ratte ausbrach, hätten es in der westlichen Welt wohl nur wenige Politiker, Zoologen und Mediziner für möglich gehalten, dass eine vom Reich der Mitte ausgehende Zoonose den Globus in Panik versetzen würde. Zu lange war man daran gewöhnt, Chinesen konsequenzlos alles essen zu sehen, was schwimmt, kreucht und fleucht. Für Epidemiologen kam der pandemische Ausbruch hingegen alles andere als unerwartet und nicht wenige von ihnen hatten ein solches Szenario vorhergesehen, denn längst ist bekannt, dass zoonotische Viren für Epidemien wie Lassa-Fieber und Ebola genauso verantwortlich sind, wie für global auftretende Seuchen, von denen Vogelgrippe und Aids bislang die bekanntesten waren.Den Ursachen der Zoonosen auf der Spur
Der US-amerikanische Wissenschaftsjournalist David Quammen hat in jahrzehntelanger Arbeit die Ursachen für von Tieren auf Menschen überspringende Viruserkrankungen (sog. Spillovers) untersucht. Herausgekommen ist dabei ein ganz besonderes Buch zum Mensch-Tier-Verhältnis, bei dem es vordergründig um Zoonosen, bei genauerem Hinsehen aber auch um die Auswirkungen jener vom Menschen ausgehenden Rücksichtslosigkeit geht, die Tieren ihren Lebensraum und ihre Würde rauben.
Das Buch ist gründlich recherchiert. Der Autor reiste um die ganze Welt, traf sich mit Ärzten, Veterinären, Genforschern, Wildhütern und Farmern. Dabei wurde ein erschreckendes Grundmuster sichtbar: Überall dort, wo Menschen und Tiere aufeinandertreffen wächst die Gefahr des Übersprungs von Viren (übrigens in beide Richtungen!). Vor allem in Affen und Fledermäusen gibt es eine Vielzahl von Erregern, die dem Menschen äußerst gefährlich werden können. Wo der Regenwald abgeholzt wird, bleibt den mit Viren belasteten Tiere nichts anderes übrig, als die Nähe zum Menschen und seinen Siedlungen zu suchen. Affen, Flughunde und Vögel übernachten am Rande von Dörfern statt auf ihren Schlafbäumen. Von dort ist es ein kurzer Weg bis zum ersten Kontakt mit Menschen.
Beklemmende Einblicke
Aus der Perspektive von Viren war die Chance auf Verbreitung nie günstiger als heute, schließlich ist der Mensch die am häufigste vertretene Säugetierart auf der Erde und reist schneller und weiter als alle anderen Lebewesen. David Quammen gibt beklemmende Einblicke in das ökologisch-biologische Zusammenspiel von Viren und ihren Wirtsorganismen. Dabei wird überdeutlich, dass es sich bei Zoonosen und den daraus resultierenden Seuchen und Pandemien keineswegs um Zufälle oder Unfälle handelt, sondern dass wir es mit den menschengemachten Störungen der Evolution zu tun haben. Das wir in den letzten Jahrzehnten mehrfach nur knapp an einer Pandemie vorbeigeschrammt sind, wird erst deutlich, wenn man Quammens Buch auch zwischen den Zeilen liest. So ist es beispielsweise nur der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung Malaysias zu verdanken, dass der „Eine-Meile-Bellhusten“ Ende der der 1990er Jahre von Schweinen allein auf chinesischstämmige Bauern und Metzger übertragen wurde und somit lokal ebenso begrenzt blieb, wie das im dünnbesiedelten ländlichen Australien in Erscheinung getretene Hendravirus, mit dem Spillover vom Flughund auf das Pferd, vom Pferd auf den Menschen.
Der nächste Spillover kommt bestimmt
Der Autor stellt unmissverständlich fest, dass der nächste Spillover unausweichlich ist und einzig und allein im rücksichtslosen Verhalten des Menschen gegenüber Tieren und Natur wurzelt. Ob solch ein Spillover mit einer Fledermaussuppe auf einem asiatischen Nachtmarkt oder einer Pelztierfarm am Rande einer europäischen Großstadt seinen Anfang nimmt, ist freilich völlig offen. Dass keine Entwarnung in Sicht ist, belegen sowohl die Ernährungsgewohnheiten der bitterarmen Menschen in afrikanischen Ländern, wo selbst die Kadaver von Menschenaffen als Proteinquellen genutzt werden, als auch die „Kultur der Aromen“ im wirtschaftlich boomenden China; dort werden seltene Wildtiere allein aufgrund ihrer Seltenheit zu lebensbedrohlichen Delikatessen.
David Quammen: Spillover. Der tierische Ursprung weltweiter Seuchen. Pantheon 2020. Paperback, 560 Seiten. ISBN-978-3-570-55444-9
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