Buchvorstellung von Markus Bötefür
Kamelrennen, Falkenjagden sowie die Pferdezucht genießen im Nahen und Mittleren Osten seit Generationen einen legendären Ruf und sind als fester Bestandteil der arabischen Kultur auch Europäern bekannt. Welche wichtigen Rollen Kamelen, Falken, Rennpferden sowie anderen wilden und domestizierten Tiere in der Kultur, Religion, Politik, Tradition, aber auch im Sport vieler Völker und Stämme des Vorderen Orients zufallen, blieb westlichen Betrachtern bislang weitestgehend verborgen. Der niederländische Journalist Olaf Koens beleuchtet in seinem 13 Reportagen umfassenden Buch „Pferde fliegen Business-Class“ bizarr anmutende Tierliebe zwischen Mittelmeer und Persischem Golf.Schweinebraten als Ausdruck zivilen Ungehorsams
Er sucht dabei nicht nur in den Ställen „spleeniger Scheichs“ nach den besonderen Mensch-Tierverhältnissen, sondern findet sie auch an Orten, wo sie wohl nur von wenigen vermutet werden. So traf er sich in einem Kibbuz mit begeisterten Schweinefleischessern, die ihre – eigentlich in Israel verbotene – Leidenschaft unter dem Deckmantel der Wissenschaft pflegen, als Schweinezüchter gegen den wachsenden Einfluss orthodoxer Juden opponieren und so das Braten und Essen von Schnitzeln als Ausdruck zivilen Ungehorsams verstanden wissen wollen.
Doch werden nur die wenigsten Tiere im Nahen Osten zum Zwecke der Jagd, des Reitsports oder der Nährmittelerzeugung gezüchtet, gepflegt und gehegt. Oft geht es auch darum, Tiere als Lebewesen ohne eine von diesen erbrachte „Gegenleistung“ zu schätzen.
Extreme der Tierliebe
Tiere, so Koens, führen in den meisten Teilen des Orients ein weitaus besseres Leben und genießen einen höheren Stellenwert als (die meisten) Menschen. Dies wird auf besonders erschreckende Weise in der Tatsache deutlich, dass zwei Löwen aus dem Zoo von Aleppo in den Niederlanden schneller und unkomplizierter Asyl fanden als syrische Flüchtlinge, was freilich nicht ohne die Vermittlung mächtiger Männer aus der arabischen Welt möglich gewesen wäre. Man wundert sich bei der Lektüre auch nicht mehr darüber, dass die einzige Feuerpause in der frühen Phase des syrischen Bürgerkriegs nur eingelegt wurde, um sämtliche Tiere aus dem Zoo von Aleppo zu evakuieren und nicht etwa, um Frauen und Kinder zu schützen.
Kulturgeschichtliche Dimensionen des Mensch-Tier-Verhältnisses
Olaf Koens beschränkt sich aber nicht nur auf das bloße „Zurschaustellen“ arabischer Tierliebe, die für westliche Betrachter oft die Grenzen zur Besessenheit überschreitet. Er liefert in seinem Buch auch Erklärungsversuche und sieht die Ursachen für das besondere Mensch-Tier-Verhältnis in der Geschichte der Region. Koens konstatiert: „Es gibt keine alten Städte mit bedeutenden Monumenten, es gibt kein kollektives Gedächtnis. Die Haltung von Tieren ist vielleicht noch das Einzige, das die Menschen mit ihrem Land, ihrem Volk, ihrem Stamm, ja der eigenen Geschichte verbindet.“ So kommt es für ihn nicht von ungefähr, dass sowohl Araber als auch Israelis in den Ländergrenzen überfliegenden Zug- und Wandervögeln mit Spionagekameras versehene gegnerische Agenten vermuten, die beständig in der Gefahr schweben, eingefangen, festgesetzt oder getötet zu werden.
Weniger wäre mehr gewesen
Im Wesentlichen geht es aber beim Thema des Buchs um die gängigen Klischees arabischer Prunksucht und Übertreibung, für die besonders Abu Dhabi sprichwörtlich geworden ist. Im dortigen Falcon Hospital wird jagdlich ausgebildeten Greifvögeln modernste veterinärmedizinische Behandlung zuteil. Der Autor fand auch eine pädiatrische Abteilung, in der frisch geschlüpfte Küken in Brutkästen gehalten werden, wie man sie in der westlichen Welt nur in der Humanmedizin verwendet.
In einem Radiointerview berichtete Olaf Koens, dass es in weiten Teilen des Orients nicht viel für ihn als Journalisten zu tun gäbe, weshalb er auf die Idee zu diesem Buch gekommen sei. Leider kann er diese Inspirationsquelle auf weiten Strecken nicht verleugnen, sodass weniger Kapitel durchaus eine Bereicherung dargestellt hätten.
Olaf Koens: Pferde fliegen Business-Class. Was Tiere, Menschen und Gesellschaft im Nahen Osten verbindet. Knesebeck 2021. Gebunden 254 Seiten. ISBN 978-3-95728-474-7
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