Bildwerke aus Orient und Okzident
Dem Kamel über die Kunst zu besonderen Ehren zu verhelfen, erscheint uns im europäischen Kulturkreis sicherlich ein wenig fremd. Schließlich gilt es hierzulande als dumm, stolz und störrisch. Der/die geneigte LeserIn wird es erraten, dem ist nicht so! Der vorliegende Bildband präsentiert über die gezeigten Kunstwerke eine unerwartet vielschichtige und spannende Kulturgeschichte des „Wüstenschiffes“, das im Orient als weise und wissend gilt. „Allah hat“, so Barbara Borngässer in ihrem Prolog, „schließlich ihm allein seinen 100. Namen anvertraut – dem Menschen verriet er lediglich 99.Das duldsame Wüstenschiff
Bereits im ersten Kapitel beeindruckt das Buch mit unerwarteten Bildern. Es beginnt mit jungsteinzeitlichen Felsmalereien und Ritzzeichungen aus Lybien, Tschad und Algerien sowie erst 2016 in der Wüste Saudi Arabiens entdeckten Felsskulpturen gigantischer Dromedare. Arabische Dromedarreiter auf assyrischen Reliefs aus Ninive, Das baktrische Kamel (Trampeltier) auf einer Reliefplatte des Palastes von Persepolis, Antike Mosaike, chinesische Grabfiguren, mittelalterliche Abbildungen oder imposante Ölgemälde aus dem 19. Jahrhundert dokumentieren die Bedeutung des Kamels als Last- und Nutztier in den Kulturen Asiens und Afrikas.
Das Kamel in Religion und Wissenschaft
Über die Bibel drang das Kamel als orientalisches Flair und Illustrationen biblischer Mythen in der christlichen Kunst nach Europa und findet sich schließlich als Fassadenreliefs und Figuren an religiösen Bauten sowie in Gemälden oder als Krippenfiguren wieder. Vielschichtig stellt sich der Charakter der Kamele in Allegorien und Fabeln dar. Im Kapitel „Wächterfiguren, Allegorien und Fabeln“ thematisiert die Autorin die Eigenschaften, die den Kamelen in den verschiedenen Kulturkreisen nachgesagt wurden. Im Kapitel „Naturstudien und Wissenschaft“ begegnet und das Kamel schließlich in islamischen Handschriften, Musterbüchern, dem Heidelberger Schicksalsbuch und selbstverständlich in den frühneuzeitlichen Enzyklopädien und Lehrbüchern und nicht zuletzt der Tiermalerei.
Exotik in europäischen Kunstkammern
Bei einem Abstecher in die Welt der Curiosa und Karikaturen trifft der/die LeserIn auf das Menschenfressende Dromedar, auf Kompositkamele und Karikaturen satirisch-politischer Zeitschriften des 19. Jahrhunderts. Die wiederum geben einen kleinen Einblick in die politischen Konflikte der revolutionären Zeit Europas.
Dann stöbern wir in fürstlichen Kunstkammern nach ungemein aufwändig gestalteten und kostbaren, exotisch anmutenden Kamelfiguren, befassen und mit dem Kamel in der angewandten Kunst, beispielsweise in Form von Gürtelschnallen, Prunktellern, Teekannen, Münzen oder Briefmarken – eine fast unerschöpfliche Fundgrube.
Zurück in die Wüste
Auch in der „Wüste als Schicksals- und Sehnsuchtsort“ darf, kann das Kamel auf den eindrucksvollen großformatigen Genre-Gemälden des 19. Jahrhunderts mit ihren Karawanen und Kamelreitern nicht fehlen. Kamele in der modernen Kunst, im Film oder der Werbung runden das Spektrum des eindrucksvollen Portraits eines unvergleichlichen in seinen Fähigkeiten, seinem Charakter und seiner Kulturgeschichte einzigartigen Tieres ab. Eine echte Entdeckungsreise.
Barbara Borngässer: Das Kamel in den Künsten. Bildwerke aus Orient und Okzident. Imhof 2022, Gebunden, 223 Seiten.
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