Freitag, 16. Mai 2025

Wenn Fledermäuse wie Babys babbeln

Babbelndes Jungtier der großen Sackflügelfledermaus Saccopteryx bilineata im Tagesquartier, mit Mutter im Hintergrund (Bildnachweis: Michael Stifter; Lautäußerungsnachweis: Ahana A. Fernandez)


Pressemitteilung des Museums für Naturkunde Berlin vom 13.05.2025:
Als Baby sind wir auf unsere Umgebung und soziale Interkationen angewiesen, um sprechen zu lernen. Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass auch bei Fledermausbabys der großen Sackflügelfledermaus Saccopteryx bilineata mütterliches Feedback wichtig ist, um Singen zu lernen. Ein Team von Wissenschaftlerinnen des Museums für Naturkunde Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin und der Freien Universität Berlin hat die vokale Entwicklung und das mütterliche Feedback an wilden Fledermäusen über mehrere Jahre untersucht. Diese Studie, die im Dschungel von Panama und Costa Rica durchgeführt wurde zeigt, welche Rolle soziale Faktoren beim vokalen Lernen von Säugetieren spielen.

Vokales Lernen eine Domäne des Menschen?

Vokales Lernen ist die Fähigkeit, bestehende Lautäußerungen zu verändern oder gänzlich neue Laute durch Nachahmung eines Vorbilds zu erwerben. Diese Fähigkeit ist eine Form des sozialen Lernens, das auf akustischem Input und – besonders bei sozialen Tieren – häufig auf irgendeiner Art von Feedback beruht. Beim Erwerb der menschlichen Sprache kann soziales Feedback die Sprachentwicklung positiv beeinflussen und die Bindung zwischen Eltern und Kind stärken. Feedback kann sowohl durch Sprechen als auch durch Gesten, Berührungen und Lächeln mit dem babbelnden Kleinkind erfolgen. Obwohl vokales Lernen für uns Menschen so selbstverständlich ist, findet man es bei nicht-menschlichen Säugetieren selten. Daher ist unser Wissen über die zugrunde liegenden Mechanismen und Prozesse dieser Form des Lernens noch gering.

Das Babbeln der Fledermäuse

Die Große Sackflügelfledermaus (Saccopteryx bilineata) ist eine kleine insektenfressende Fledermausart, die in den Tieflandregionen Mittel- und Südamerikas lebt. Im Laufe ihrer Entwicklung imitieren Jungtiere erwachsene Männchen, um deren Gesänge zu lernen. Auffällig ist, dass dieser Lernprozess in einem ausgeprägten Übungsverhalten, dem sogenannten „Babbeln“, zum Ausdruck kommt. Eine frühere Studie hat gezeigt, dass das Babbeln von Fledermausjungtieren und menschlichen Kleinkindern durch ähnliche Merkmale geprägt ist. Fledermausjungtiere produzieren im Durchschnitt sieben Wochen lang täglich mehrmals Babbelphasen, die bis zu 43 Minuten andauern können. Erwachsene Männchen bieten zwar den akustischen Input, indem sie täglich bei Sonnenauf- und -untergang singen, interagieren jedoch normalerweise nicht mit den Jungtieren. Die Weibchen hingegen zeigen verschiedene auffällige Verhaltensweisen, welche ausschließlich während des Babbelns ihres Jungtiers auftreten.

Die einen singen, die anderen sprechen

Die Forscherinnen Ahana A. Fernandez, Nora Serve, Sarah-Cecil Fabian und Mirjam Knörnschild dokumentierten die vokale Entwicklung der Jungtiere und untersuchten, ob die während des Babbelns gezeigten Verhaltensweisen der Mutter verschiedene Aspekte des vokalen Lernens beeinflussen. Sie stellten fest, dass das mütterliche Verhalten die Dauer der täglichen Übungseinheiten verlängerte und auch während der gesamten Entwicklungszeit signifikant erhöhte. „Besonders faszinierend ist jedoch, dass das mütterliche Verhalten verschiedene Aspekte der durch Imitation erlernten Gesangssilben beeinflusst“, erklärt Ahana A. Fernandez. „Wir haben herausgefunden, dass sowohl die Menge der Gesangssilben als auch die Anzahl der unterschiedlichen Silbentypen durch das mütterliche Verhalten positiv beeinflusst werden“, berichtet sie. Darüber hinaus produzieren Jungtiere, deren Mütter während des Babbelns besonders häufig mit ihnen interagieren, mehr ausgereifte Gesangssilben. „Das ist faszinierend, denn bei menschlichen Kleinkindern sehen wir ebenfalls den positiven Effekt von sozialem Feedback auf die sprachliche Ausreifung von Babbel-Silben, so dass sie sich immer stärker an erwachsene Sprachmuster annähern“, erklärt Mirjam Knörnschild. „Und diese Parallelen bei einem anderen vokal lernenden Säugetier zu sehen, ist besonders spannend.“

Das gesamte soziale Umfeld ist wichtig

Diese Studie zeigt, dass soziale Faktoren eine entscheidende Rolle bei Prozessen wie der vokalen Entwicklung spielen – nicht nur beim Menschen, sondern auch bei anderen vokal lernenden Säugetieren. Sie stellt einen wichtigen Schritt dar, um die Auswirkungen von sozialem Feedback auf das vokale Lernen zu untersuchen und unterstreicht die Bedeutung von Studien in der freien Natur, die das gesamte soziale Umfeld miteinbeziehen.

Publikation: https://doi.org/10.7554/eLife.99474 und  https://elifesciences.org/digests

Ein paar persönliche Anmerkungen

Es ist immer wieder spannend, über neueste Erkenntnisse aus der Forschung zu lesen. So auch in diesem Fall, den ich hier mit der Pressemitteilung des Museums für Naturkunde in Berlin präsentiere. Da geht es um das soziale Lernen von Gesang wie die Lautäußerungen der Großen Sackflügelfledermaus in der Studie bezeichnet werden. Das Spannende dabei ist jedoch – zumindest, wenn man den Menschen nicht als Krönung der Evolution begreift - weniger die Tatsache, dass auch Tiere über soziales Lernen, also über Fähigkeiten verfügen, die bislang den Menschen zugeschrieben wurden, sondern vielmehr, wie schwer sich auch „die Forschung“ tut, anzuerkennen, dass die kulturellen Unterschiede zwischen Tier und Mensch bei genauerer Betrachtung oft recht marginal sind. Das beginnt bereits mit den verwendeten Begriffen. Bei den zum Vergleich herangezogenen menschlichen Babys geht es immerhin um die soziale Vermittlung von Sprache, bei den Fledermausjungen handelt es sich nach der Interpretation der ForscherInnen um Gesang. Aber vielleicht sollte man das nicht auf die Goldwaage legen, denn möglicherweise interpretieren die Fledermäuse unsere Sprache ja auch als Singen, einfach deshalb, weil sich ihnen die soziale Bedeutung unserer Lautäußerungen, also die Botschaften dahinter, ebenfalls nicht erschließen. Ansonsten kommt mir die generelle Erkenntnis der Rolle der Mutter bei der Laut- und Sprachbildung des Nachwuchses nicht so furchtbar bahnbrechend vor, dennoch lohnt sich die Lektüre der Pressemitteilung im Detail durchaus. Und vielleicht noch zur Ergänzung: Die Studie untersucht natürlich nur einen Aspekt der Kultur der faszinierenden Säugetierspezies. Doch erst in der Summe der sozialen Interaktionen einzelner Spezies dürften die sozialen und kulturellen Leistungen auch nichtmenschlicher Tiere deutlich werden, wie die ebenfalls vom Museum für Naturkunde vorgestellte Studie zur Lösung sensorischer Konflikte am Beispiel der Großen Sackflügelfledermaus andeutet.

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