Forschungsteam des Museums für Naturkunde Berlin trägt zur Erfassung globaler Artenvielfalt bei
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(c) Volker Borhmann & Eran Wolff |
Pressemitteilung des Museums für Naturkunde Berlin vom 12.05.2025: Forschende des Museums für Naturkunde Berlin haben in zwei aktuellen Studien insgesamt 40 bisher unbekannte Schmetterlingsarten aus den Philippinen beschrieben. Dabei haben sie Material aus der Sammlung untersucht, was die hohe Relevanz naturkundlicher Sammlungen bei der Biodiversitätsentdeckung unterstreicht. Die neuen Arten gehören zur Gruppe der Zünslerfalter (Crambidae) – einer vielfältigen Familie mit oft unscheinbaren, aber ökologisch bedeutenden Faltern. Die Entdeckungen basieren auf der sogenannten Integrativen Taxonomie, die genetische und äußere Merkmale kombiniert, um Arten sicher zu identifizieren.
Neue und kryptische Arten in den naturkundlichen Sammlungen
„Die Philippinen gehören zu den Hotspots der globalen Biodiversität. Viele Tiere und Pflanzen kommen ausschließlich dort vor – sind also endemisch. Gleichzeitig sind diese einzigartigen Lebensräume durch Abholzung und Bevölkerungsdruck stark bedroht“, erklärt Théo Léger, Schmetterlingsforscher am Museum für Naturkunde Berlin. „Es ist deshalb besonders dringend, die Artenvielfalt dieser Region zu dokumentieren, bevor sie verloren geht.“
Die erste der beiden Studien befasste sich mit zwei Unterfamilien der Zünslerfalter, Crambinae und Scopariinae, und wurde von Théo Léger geleitet. Die zweite Studie entstand im Rahmen der Bachelorarbeit von Anne Müller und widmete sich der kürzlich als eigenständig anerkannten Unterfamilie Lathrotelinae. Beide Forschungen basierten auf rund 700 Sammlungsexemplaren aus Berlin und Kopenhagen. Die Ergebnisse sind bemerkenswert: Mehr als die Hälfte der untersuchten Arten erwiesen sich als neu für die Wissenschaft. Außerdem entdeckte das Forschungsteam zahlreiche sogenannte „kryptische Arten“ – äußerlich kaum unterscheidbare Tiere, die genetisch jedoch eigenständige Arten darstellen.
Weitere spektakuläre Funde erwartet
Für diese Studie mussten die Forscher keinen Fuß in die Tropen setzen: die neu beschriebenen Arten wurden bereits vor 30 Jahren auf den Philippinen gesammelt und lagen unerforscht in der Sammlung des Museums für Naturkunde. Die Entdeckung neuer Arten ist von großer Bedeutung. Jede Art spielt eine Rolle im Ökosystem. Zudem liefern solche Erkenntnisse wichtige Hinweise auf evolutionäre Prozesse, klimatische Anpassungen und den Zustand von Lebensräumen. Zu den Zünslerfaltern gehört beispielsweise auch der Reisstengelbohrer, einer der schwerwiegendsten Schädlinge im Reisanbau in Süd- und Südostasien (Indien, Bangladesch, Indonesien, Philippinen).
Die Forschenden betonen, dass auf den Philippinen viele Gebiete – vor allem in abgelegenen Bergregionen – noch kaum wissenschaftlich untersucht sind. Künftige Expeditionen versprechen daher weitere spektakuläre Funde.
Publikation:
Léger, T. (2024). Half of the Diversity Undescribed: Integrative Taxonomy Reveals 32 New Species and a High Cryptic Diversity in the Scopariinae and Crambinae of the Philippines (Lepidoptera: Crambidae). Bulletin of the Society of Systematic Biologists, 3(2). https://doi.org/10.18061/bssb.v3i2.9527
Müller, A, Hayden, J, Lees, DC, Léger, T (2025). Assessment of species diversity of the Lathrotelinae (Lepidoptera: Crambidae) from the Philippines using morphology and DNA barcoding reveals eight new species. Journal of Asia-Pacific Biodiversity, 2025.
https://doi.org/10.1016/j.japb.2025.01.012
Ein paar persönliche Anmerkungen:
Keine Frage, Biodiversitätsforschung und ihre Erkenntnisse
sind wichtig und solange es noch die in der Pressemitteilung angesprochenen
abgelegenen Bergregionen gibt, sind natürlich weitere spektakuläre Funde zu
erwarten. Und natürlich nicht nur dort, sondern auch in den zahlreichen
Naturkundlichen Sammlungen insbesondere aus der Kolonialzeit. Gelegentlich
stellt sich mir jedoch die Frage, was im Einzelfall eigentlich das Spektakuläre
ist. Bei den Zünslerfaltern erscheint mir das wissenschaftlich aufregende
zunächst einmal in der durch das Instrument der Integrativen Taxonomie erzielten
Genauigkeit der Artenbestimmung zu bestehen. Natürlich ermöglicht dies nähere Erkenntnisse
über regionale evolutionäre Anpassungsprozesse an Umwelt und Klima. Allein die
Aussage Théo Légers: „Es ist deshalb besonders dringend, die Artenvielfalt
dieser Region zu dokumentieren, bevor sie verloren geht“, wirft für mich
jedoch die grundsätzliche Frage auf: Warum eigentlich?
Die Lebensräume werden ungeachtet wissenschaftlicher Erkenntnisse weiter
zerstört, das Aussterben unzähliger, teilweise bislang noch nicht einmal „entdeckter“
Arten geht ungebrochen weiter und sie werden für immer verloren sein. Ja selbst
die bedrohten Arten, die in den vermeintlichen „Archen Zoo“ durch entsprechende
Zuchtprogramme vor dem Aussterben bewahrt werden sollen, haben keine Chance, jemals
wieder in ihrem natürlichen Lebensraum einen Beitrag zur Biodiversität und zu
einer evolutionären Anpassung an Umwelt- und Klimaveränderungen beizutragen. Biodiversität
wird gewissermaßen in Form von Archiven mit lebendigen und toten Biodokumenten
gespeichert und kann somit weiter erforscht werden, zu immer neuen
Erkenntnissen über die Folgen menschlicher Zerstörungswut und verpasste Chancen
in der Vergangenheit führen.
So spannend die Ergebnisse dieser und auch zahlreicher anderer Studien zu Biodiversität und Evolution also auch sind, das menschengemachte sechste Massenartensterben und den ebenfalls menschengemachten existenzbedrohenden Klimawandel werden sie nicht verhindern können. Denn das, was wir dafür über Evolution und Biodiversität, über Klima und Umwelt wissen müssen, ist schon seit vielen Jahrzehnten bekannt. Vor dem Hintergrund unseres zerstörerischen "immer weiter so", des sinnlosen und ständig wachsenden Ressourcenhungers, der auch vor der noch weitgehend unerforschten Tiefsee nicht halt macht, erscheint mir die wissenschaftlich tatsächlich hochinteressante Entdeckung der kryptischen Zünslerfalterarten doch wieder recht belanglos.
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