Tierstudien 24
Wenn die gesellschaftliche und kulturelle Bewertung des biologischen Geschlechtes (Gender) bei den Strukturen, Eigenschaftszuordnungen und (Macht-) Verhältnissen innerhalb der menschlichen Gemeinschaften eine wesentliche Rolle spielen, so dürfte dies auch im Verhältnis zwischen Mensch und nichtmenschlichem Tier der Fall sein. Und so hat sich der Neofelis-Verlag im Rahmen seiner Tierstudien-Reihe in Band 24 auch diesem Thema gewidmet. Und wer beim Begriff Gender nicht bereits von Schnappatmung und verbalen Angstbeißattacken befallen wird, für den ist dieses Buch eine spannende, weil doch recht unideologische und informative Lektüre, die möglicherweise einen entspannteren, weil klareren Blick auf die Hintergründe der Genderdebatte wirft.
Animalischer Duft
Dabei ist es gar nicht die Genderdebatte (und schon gar nicht das angsteinflößende Sternchen), die da angeheizt wird, sondern die Lesenden erwartet tatsächlich – wie in den anderen Bänden der Tierstudien auch - ein kulturhistorischer und künstlerischer Blick auf das Mensch-Tier-Verhältnis. Dabei bietet das Buch so manche Überraschung, wie bereits der erste Aufsatz über „Männliche und weibliche Zibetkatzen und andere Spezies im 17. Jahrhundert“ zeigt. Die aus Westafrika stammenden Schleichkatzen waren als „ProduzentInnen“ des in der Parfümerie und Medizin sehr begehrten Drüsensekrets der Tiere, dem Zibet außerordentlich begehrt. Doch obwohl es zwischen dem Zibet der männlichen und weiblichen Schleichkatzen weder qualitativ noch quantitativ einen Unterschied gibt, erzielten die männlichen Tiere bei gleichem Alter und Gesundheitszustand höhere Preise, die weiblichen Tiere galten als minderwertig. Nicht zuletzt sicherlich auch deshalb, weil die Nachzucht der Tiere in Gefangenschaft nicht gelingen wollte, die biologische „Funktion“ der Katzen wirtschaftlich nicht „verwertbar“ war. Allein an der Geschichte der Zibetkatze arbeitet Sarah-Maria Schober anhand von Notariatsakten zum Amsterdamer Zibetgeschäft in ihrem Aufsatz unerwartet viele Aspekte des „Sexings“ bei der ökonomischen „Verwertung“ von Tieren aus, bei dem oft weniger naturwissenschaftliche, denn kulturell geprägte Vorstellungen und Strukturen der menschlichen Gesellschaft eine entscheidende Rolle spielen.
Der Mythos von der männlichen Jagd
Auch beim folgenden Aufsatz „von Fürstinnen und Terzeln“ erweist sich die Bewertung des biologischen Geschlechts von Tieren als in erster Linie kulturell-gesellschaftlich geprägt. Hier geht es jedoch weniger um die ökonomische Verwertbarkeit unserer Mitlebewesen, sondern vielmehr um ihre Rolle als Codes für Geschlechterrollen im „dynamischen Wechselspiel mit anderen Kategorien sozialer Differenzierungen“. Als Ansatzpunkt wählt die Autorin die höfische Falknerei, ein gutes Beispiel, wie sich im Rahmen gesellschaftlicher Veränderungen auch Vorstellungen von Geschlechterrollen und ihren „Symboltieren“ abseits der biologischen Realitäten verändern können. So verfestigte sich beispielsweise die Vorstellung von der Jagd als „Performanz hegemonialer Männlichkeit“, wie Nadir Weber feststellt, „erst im Kontext des Aufkommens der bürgerlichen Jagd und der „Naturalisierung“ der Geschlechterdifferenz im 19. Jahrhundert.
Tierliche Queerness und noch viel mehr
Tiere als Codes für gesellschaftliche Geschlechterrollen, ihre Relativierung und Überwindung sind Gegenstand der folgenden Aufsätze, die sich damit inhaltlich mehr und mehr der Auflösung binärer Geschlechtervorstellungen nähern und u.a. in der Betrachtung von Queerness im menschlichen und nichtmenschlichen Tierreich münden. Auch in diesem Zusammenhang finden die Lesenden faszinierende Fakten, Gedankengänge und Aspekte, die überkommene Vorstellungen von dem, was vermeintlich natürlich, kultiviert oder auch nur biologische Norm ist, in Frage stellt. Und die AutorInnen wagen sich in ihren Aufsätzen durchaus in Tabuzonen vor, wie am Beispiel der Ausführungen zur Zoosexualität deutlich wird. Auch hier eine interessante Diskussion mit überraschenden Perspektiven und Fragestellungen. Und wie immer in den Bänden der Tierstudien werden am Ende künstlerische Projekte präsentiert, die sich der Thematik widmen und – in diesem Kontext kaum verwunderlich – nicht nur „unterhalten“ sondern auch provozieren und verstören.
Jessica Ullrich, Mieke Roscher (HG): Tierstudien 24. Tiere und Geschlecht. Neofelis 2023. Taschenbuch 196 Seiten
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