Freitag, 30. Dezember 2022

Von schrumpfenden Tintenfischen und windfesten Eidechsen

Faszinierende Antworten der Natur auf die Klimakrise 

„Wenn Heuschrecken, Hummeln und Schmetterlinge in der Lage sind, ihr Verhalten zu ändern, dann wir doch sicherlich auch.“ Mit diesem hoffnungsvollen Satz am Ende seines Vorworts, bringt der US-amerikanische Autor Thor Hanson seine Motivation zum Schreiben des Buches auf den Punkt. Tatsächlich sind die Anpassungs- und Veränderungsfähigkeiten vieler Lebensformen geradezu phänomenal und die Lektüre dieses Buches vermittelt einen Eindruck von der Komplexität und Widerstandsfähigkeit des Lebens, die es sich lohnt, mit dem Autor gemeinsam zu erleben.

Eine Reise in die Wissenschaftsgeschichte

Es ist natürlich nicht überraschend, dass Klimawandel und Artensterben für den Biologen Anlass zum Verfassen dieses Buches waren. Schließlich war er bereits im Rahmen seines Studiums mit den Folgen dieser sowohl natürlichen als auch menschengemachten Phänomene konfrontiert worden. An diesen konkreten Erfahrungen und Erlebnissen im Rahmen seiner Projekte lässt Thor Hanson seine LeserInnen in der Tradition des natural writings teilhaben. Und das beginnt in Teil I „Die Schuldigen“ mit einer sehr gelungenen Einführung in die Wissenschaftsgeschichte und die Erkenntnisse zur Evolution und der Wirkung des CO2 auf das Klima. In diesem Zusammenhang vermittelt Hanson nicht nur die Gedankenwelten vergangener Zeiten, sondern lässt seine LeserInnen auch an den Experimenten und Projekten teilhaben, die ihm im Rahmen seines Studiums die Augen für entsprechende Zusammenhänge geöffnet haben.

Wenn es keinen Ausweg mehr gibt

Ab Teil II „Die Probleme“ geht es nun mit dem Autor ab ins „Feld“ oder an die Orte, an denen dem Beobachter der Klimawandel und seine Folgen aber auch die tierlichen und pflanzlichen Reaktionen direkt begegnen. Die LeserInnen reisen in die Tropen, nach Alaska, vor die kalifornische Küste und überall dahin, wo sich teils erfreuliche, teils verstörende Phänomene erkennen lassen, die mit dem Klimawandel zu tun haben. Da gibt es Lebewesen, die sich schlichtweg davongemacht haben, weil es ihnen in ihren angestammten Gebieten zu heiß geworden ist, andere haben klimatische Refugien entdeckt, in denen sie zumindest bis auf Weiteres die Folgen der Erderwärmung überstehen können und wieder andere haben ihr Verhalten oder körperliche Merkmale ge-/verändert, um mit den neuen Bedingungen zurecht zu kommen.

Veränderung als Überlebensstrategie

In den fünf Teilen des Buches „Die Schuldigen“, „Die Probleme“, „Die Reaktionen“ und „Die Folgen“ beschäftigen sich die Leser mit dem Sammeln von Klimadaten und der Geschichte ihrer Erhebung, Anpassungen (oder eben nicht) einzelner beispielhafter Arten, Aussterbens- und Wanderungsprozessen und vielem anderen mehr. Denn mit jeder Buchseite „Aufenthalt im Forschungsfeld“ verdichtet sich die Erkenntnis der Zusammenhänge und Komplexität zwischen geologisch-klimatischen und biologischen Prozessen. Es ist eine Erlebnisreise, die zeigt, dass es Gewinner und Verlierer des Klimawandels gibt und die intuitiv erkennen lässt, dass der Mensch, ohne Bereitschaft (oder Fähigkeit?) sich statt die Umwelt zu verändern, wohl zu den Verlierern gehören dürfte.

So kompliziert und doch so einfach

Die Ausführungen Thor Hansons werfen nicht nur Fragen auf, die der Autor in seinem Buch stellt und beantwortet. Sie machen einfach nachdenklich und regen dazu an, Nachrichten, politisch oder ökonomisch propagierte Lösungsstrategien und auch die eigene Sichtweise auf aktuelle Problematiken differenzierter als üblich zu betrachten. Differenzierter übrigens nicht im Sinne von relativierend, sondern im Sinne des Verstehens. Beeindruckend empfand ich in diesem Sinne Hansons Fazit „Alles, was mir nur können“ als Antwort auf die Frage, was wir angesichts der existenziellen Bedrohung, in der wir Menschen uns befinden tun sollen, während sich viele Lebensformen in einer für die Evolution geradezu atemberaubenden Geschwindigkeit längst an die neuen Gegebenheiten anpassen. „Die Klimakrise zu bekämpfen“, so Hanson, „fordert einen fundamentalen Kulturwandel im Umgang mit Energie“ […] „…doch Politik und Führung werden die Folge eines Kulturwandels sein, nicht ihre Ursache.“ 

Thor Hanson: Von schrumpfenden Tintenfischen und windfesten Eidechsen. Kösel 2022. Hardcover mit Schutzumschlag. 284 Seiten.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen