Tierstudien 19/2021
Wenn von Tieren und Migration die Rede ist, fällt einem sofort das Stichwort „Invasive Arten“ ein. Aber hinter diesem Thema verbirgt sich noch vieles mehr. Wie auch in den anderen Ausgaben der Tierstudien nähern sich die Autoren des Bandes 19/2021 dem in Zusammenhang mit Tieren überwiegend als naturwissenschaftlich wahrgenommenen Begriff von der geisteswissenschaftlichen Seite und eröffnen dem Leser damit interessante Perspektiven.
Grenzüberschreitungen
Mit historischen Perspektiven zwischen Fakt und Fiktion beginnt die Auseinandersetzung mit dem Thema und bereits die erste Überraschung für den Leser. Denn die Autorin befasst sich mit auswandernden Fischen! Dabei geht es nicht etwa um die wandernden Lachse oder Aale, sondern vielmehr um Fische in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Fabeln, die den ihnen von Natur aus zugewiesenen Ort verlassen. Dabei geht es um das individuelle Bedürfnis nach sozialem Aufstieg, das in den damaligen Gesellschaften – wie die Fabeln nahelegen – zum Scheitern verurteilt ist.
Mit dem Überschreiten von Grenzen, wenn auch in ganz anderer Hinsicht hat die Betrachtung der Vogelzüge in der deutschsprachigen Publizistik des 17. Jahrhunderts zu tun. Dass Vögel überhaupt ziehen, ihre Standorte über Kontinente hinweg wechseln, ist den Europäern erst im Rahmen ihrer eigenen Expansion und „Entdeckung der Welt“ bewusst geworden. Dabei entwickelten sich spannende und außerordentlich gegenläufige Debatten, bei denen die Glaubwürdigkeit von Quellen bei gleichzeitig rasant steigendem Informationsaufkommen eine wichtige Rolle spielt.
Wissenstransfer und Ideologien
Mit dem komplexen Thema Wissenstransfer anhand „wandernder“ biologischer Präparate und Fakeartefakte befassten sich die Aufsätze des Kapitels „Landgang und Nachleben migrierender Tierkörper“, bei der die AutorInnen ihren Blick gleichzeitig auf die wissenschaftliche Wirkmächtigkeit musealer Sammlungsobjekte in Gegenwart und Vergangenheit richten.
Einen breiten Raum nehmen die Aufsätze zum Themenkomplex invasiver und importierter Tiere ein. Zu Recht, denn gerade hier ist eine über die vermeintlich naturwissenschaftliche Betrachtung hinausgehende geisteswissenschaftliche Durchdringung längt überfällig. Da spielen der Heimatbegriff, rassistische Ideologie oder nationalistische Denkstrukturen auch im Artenschutz und der Rhetorik eine nicht zu unterschätzende und der tatsächlichen Problematik unangemessene und verschleiernde Rolle.
Literatur und Kunst
Die vielschichtige Auseinandersetzung mit der Thematik gipfelt schließlich in der Betrachtung von medialen und künstlerischen Perspektiven. Und so schließt das Buch mit der Vorstellung von literarischen Betrachtungen zu tierlicher Mobilität oder Flucht und Vertreibung mit/von Tieren sowie künstlerischen Positionen/Projekten, die – wie das ganze Buch - wertvolle Denkanstöße geben.
Jessica Ullrich, Frederike Middelhoff (Hg.): Tierstudien 19/2021. Tiere und Migration. Neofelis 2021. Paperback 215 Seiten.
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