Freitag, 16. November 2012

Wenn die wilden Katzen rufen


Ein Besuch bei den wilden Kollegen unserer Schmusetiger

Misstrauisch beobachtet der Wildkater mein Bemühen, ihn mit der Kamera zu Portraitieren. Klar, er ist  - wie seine drei Artgenossen – Publikum gewohnt und ein Foto von den vier Graubraungetigerten sollte, wie der Tierpfleger versichert, vor allem bei der Fütterung kein Problem sein. Aber mit dem Objektiv in einer Masche des Drahtzauns, das die sichtbare Grenze zum Wildkatzengehege im Wildkatzendorf Hütscheroda am Nationalpark Hainich in Thüringen markiert, habe ich offensichtlich die Distanz zu dem jungen Wildkater aus der Schweiz unterschritten. Ein kräftiges Fauchen ist die Quittung und ich lerne, dass Wildkatzen offensichtlich auch noch eine feuchte Aussprache haben.

Keine Frage, so nahe kommt man echten Wildkatzen hierzulande sonst wohl nirgends, wie in der Schauanlage „Wildkatzenlichtung“. Der Hainich – einer der größten ursprünglichen Wälder Deutschlands – ist auch der Geburtsort des vom BUND initiierten Rettungsnetzes für Wildkatzen. Seit 2004 arbeitet der Naturschutzverband an dem Konzept zur Verbindung der über Deutschland verstreuten Wildkatzenenklaven. Jenen Waldgebieten also, in denen sich entweder Restpopulationen der einst in ganz Deutschland heimischen Felis Silvestris erhalten haben oder die für eine Ansiedlung der scheuen Samtpfoten geeignet sind. Insgesamt 20.000 Kilometer soll das Wegenetz am Ende umfassen und damit den bei uns vom Aussterben bedrohten Katzen, die noch bevor die Römer die ersten Hauskatzen über die Alpen brachten, die Wälder Europas durchstreiften.

Wildkatzen stehen auf der Deutschen Roten Liste der bedrohten Tierarten, Kategorie 2, stark gefährdet
Es sind nicht in erster Linie die Jäger, die in ihrem Bedürfnis, ihr Revier von streunenden Hauskatzen frei zu halten auch schon mal eine der scheuen Wilden erschießen. Schlimmer noch sind die Verluste, die die Autos auf den Straßen, die Deutschlands Wildlebensräume wie Todesstreifen durchschneiden, unter den derzeit rund 5.000 bis 7.500 verbliebenen einzelgängerischen Waldfelinen verursachen. Die größte Gefahr aber besteht in der Unmöglichkeit des genetischen Austauschs der voneinander isoliert lebenden Populationen, die zu tödlicher Inzucht und genetisch bedingten Krankheiten führt. Mit der ersten grünen Trasse wurde die Verbindung zwischen dem Hainich und dem Thüringer Wald hergestellt. 2009 begannen die Naturschützer mit der Verbindung des Thüringer Waldes und Hessen. Dabei ist die Einrichtung eines funktionierenden Wegenetzes eine große Herausforderung.

Wildkatze als „Zielart“ des Naturschutzes

Im Informationszentrum des Wildkatzendorfes, der „Scheune“ erfährt der Besucher alles über die faszinierenden Raubtiere und die einzelnen Aspekte, die das Mammutprojekt beinhaltet. Denn damit die „Zielart“ Wildkatze, der größere Bruder Luchs aber auch viele andere Tier und Pflanzenarten bis hin zu Dachsen, Baummardern, bestimmten Vogel- und Fledermausarten die tödlichen Zivilisationsschneisen überwinden können, ist es mit ein paar „Grünflächen“ und Bäumchen pflanzen nicht getan. Die Wildkorridore, Grünbrücken oder -tunnel müssen eine Bepflanzung aufweisen, die den jeweiligen Tierarten eine angemessene Deckung bietet. Sie müssen zudem von Menschen weitestgehend ungestört sein und vor allem die richtigen Streckenverläufe aufweisen und sichere Rückzugsgebiete lückenlos miteinander verbinden. Und so gehört es zu den zentralen Aktivitäten im Rahmen des Projektes, die Populationen ausfindig zu machen und ihre Gewohnheiten und Bedürfnisse zu studieren.

Das Wildkatzendorf ist immer einen Besuch wert

Von Kameras mit Bewegungsmeldern beobachtete baldriangetränkte Lockstäbe lassen auch keine Wildkatze kalt. Und so liefert die wissenschaftliche Arbeit zur Vorbereitung geeigneter Trassen in Form von Fotos und Videos auch für den Besucher der Hütscherodaer Wildkatzenscheune faszinierende Einblicke in das Leben der graubraunen Gesellen. In der erst im April 2012 eröffneten Schauanlage „Wildkatzenlichtung“ schließlich steht der Besucher schließlich leibhaftigen Wildkatern Aug in Aug gegenüber. Zwei wilde Katerpaare aus Schweizer Natur-und Tierparks leisten hier durch ihr selbstbewusstes Auftreten in „natürlicher“ Umgebung Überzeugungsarbeit für das deutschlandweite Wildkatzenprojekt.
Dessen Präsentation erschöpft sich aber nicht in der ganzjährig geöffneten Scheune und Schauanlage. Der Besucher kann auf dem Wildkatzenpfad und über Rangergeführte Wanderungen durch den natürlichen Lebensraum der Felis Silvestris streifen. Sie selbst dürfte er dort nicht zu Gesicht bekommen, wohl aber den ersten, 2007 gepflanzten Wildkatzenkorridor.


Fotos: Wolfgang Schwerdt, (Wildkatzenlichtung)


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