Mittwoch, 8. Mai 2024

Der Schutz unserer Meere

Gefährdungen, Chancen und Rechtslage eines einzigartigen Ökosystems

Wohl kaum ein Lebensraum auf der Welt ist (dem homo sapiens) noch so unbekannt, wie das Meer. Das liegt vor allem daran, dass das Meer zwar natürlicher Lebensraum für unzählige Organismen und Spezies, nicht aber des Menschen ist. Gleichwohl stellt das Meer eine zentrale ökologische Lebensgrundlage des Menschen und der anderen erdgebundenen Organismen dar. Doch mit Beginn des industriellen Zeitalters wurde diese fremde Welt zum Gegenstand ungebremster wirtschaftlicher Begierden. Und während die Zusammenhänge zwischen Raubbau an der Natur, Artensterben und Klimawandel an Land zumindest so weit erforscht sind, dass man der verheerenden Entwicklung bei entsprechendem politischem Willen mit nationalen und internationalen Schutzmaßnahmen und -programmen noch einigermaßen entgegensteuern könnte, stellt das Meer eine völlig andere Herausforderung dar, auf die die terrestrischen Programme und Regelwerke nur bedingt anwendbar sind.

Wissen, worum es geht.

Bereits in der Einführung vermittelt der Universitätsprofessor für Umwelt- und öffentliches Wirtschaftsrecht, Detlef Czybulka die Komplexität des Themas und die Tatsache, dass wir es bei den Meeren mit etwas ganz anderem zu tun haben, als wir es aus dem terrestrischen Umwelt- und Artenschutz gewohnt sind. Und so bringt er mit der Frage des zweiten Kapitels „Was, wie und warum schützen?“ so manch LeserIn, ins Grübeln. Zum einen, weil die Fülle der marinen Biodiversität und ihre Struktur schlichtweg überwältigend ist, zum anderen, weil auch die räumlichen Dimensionen gigantisch sind. Allein die Problematik der Definition der Schutzgüter des Meeres und die damit verbundenen juristischen Herausforderungen sind enorm, zumal hier natürlich auch ethische Überlegungen und Fragestellungen eine Rolle spielen, die eng mit dem Selbstverständnis des Menschen in Bezug zu seiner Welt verbunden sind. Die Begriffe Zoozentrismus, Biozentrismus oder Ökozentrismus seien hier nur beispielhaft genannt.

Wissen, womit wir es zu tun haben

Für den/die LeserIn ist es zunächst ein wenig ungewohnt, mit juristischen und „philosophischen“ Fragen und Aspekten konfrontiert zu werden, bevor der „Gegenstand“ der Schutzbemühungen in seinen Einzelheiten bekannt ist. Doch diese Einzelheiten, angefangen von der wissenschaftlichen Basis der Ozeanografie, die maritimen Ökosysteme und Strömungen über die unterseeischen Meereslandschaften bis zur Beschreibung der regionalen Randmeere mit ihren jeweiligen ökologischen Besonderheiten liefert der Autor im dritten Kapitel nach. Für den/die LeserIn erweisen sich dabei die zuvor gelieferten Informationen und Problemstellungen als hilfreich, um die Komplexität, die Besonderheiten und die Herausforderungen für den Meeresschutz im Einzelfall nachvollziehen zu können.

Wissen um die Ursachen

Der im vierten Kapitel entwickelte historische Hintergrund der heutigen Problematik ist zwar recht oberflächlich und den eingefleischten Historiker kräuseln sich gelegentlich die Fußnägel angesichts der vorgenommenen Vereinfachungen, doch um einen Historiker zufriedenzustellen, hätte es ohnehin einer ganzen Buchreihe bedurft. Zum Verständnis der Entwicklung der Meeresnutzung durch den Menschen und die Genesis des Seerechts bis zur heutigen „Kolonisierung“ des maritimen Lebensraumes ist dieser historische Abriss außerordentlich wichtig und völlig ausreichend. Dieser, zusammen mit dem kurzen, aber informationsdichten Kapitel über die wichtigsten Meeresnutzungen und ihren Auswirkungen, liefert schließlich die Grundlage für die im sechsten und siebenten Kapitel folgenden detaillierten Aufführungen zum Meeresumweltvölkerrecht und dem Europäischen Unionsrecht mit seinen unterschiedlichen Ansätzen, strukturellen Schwächen und Lücken.

Ans Eingemachte

Im zweiten Teil widmet sich Detlef Czybulka schließlich den Brennpunkten des notwendigen Meeresschutzes, angefangen von der Überfischung, der Rohstoffgewinnung über die Folgen der Energiewende für das Meer bis hin zur Verschmutzung der Meere. Auch diese Bereiche durchaus juristisch relevant und allein, dass hier auch die Verpackungsverordnung der EU eine Rolle spielt, zeigt, dass Meeresschutz schon an Land beginnt.

Das zwölfte Kapitel behandelt die Meeresschutzgebiete und die marine Raumplanung (!) und führt die LeserInnen anhand konkreter Beispiele in die aktuelle Problematik zwischen Schutzbemühungen, Nutzungsbestrebungen und Kontrollmöglichkeiten.

Übermäßig optimistisch mutet der abschließende Ausblick Czybulkas zwar nicht unbedingt an, doch er schließt immerhin mit den Worten: „Es wäre möglich, unsere Meere am Leben zu erhalten. Wo Naturschutz praktiziert wird, gewinnt die Meeresnatur. Es gibt sogar Fortschritte im Big Apple, in New York City. In den dortigen Gewässern gedeihen wieder Austern und schwimmen Buckelwale, diese herrlichen Geschöpfe“.

Und dann zitiert der Autor ein Wort, dass Ernst Bloch zugeschrieben wird: „Wenn wir zu hoffen aufhören, kommt, was wir befürchten, bestimmt“

Überzeugend

Zugegeben, ich habe lange mit mir gehadert, ob ich dieses Buch zur Rezension bestelle, denn Recht und Paragrafen sind nicht mein Ding. Doch ich habe es nicht nur nicht bereut, sondern ich bin geradezu froh, mich dafür entschieden zu haben. Denn Detlef Czybulka ist es gelungen, mir sowohl die Auseinandersetzung mit den vielfältigen umwelt- und artenschutzrelevanten Aspekten des Rechts (bis hin zu rechtssystematischen und ethischen Fragen) ein wenig schmackhafter zu machen. Zudem ist mir, obwohl auch in Bezug auf die maritime Biosphäre und ihre Schutzbedürfnisse nicht unbedarft, bislang noch kein Buch untergekommen, das wohl nahezu alle Aspekte des maritimen Ökosystems und seiner Bedrohung in all ihren (derzeit bekannten) Zusammenhängen verständlich zusammenfasst. Naturgemäß keine leichte Lesekost aber ein hervorragendes Nachschlagewerk für alle, die begreifen, dass der Schutz des Ökosystems Meer zugleich dem Schutz der Menschheit dient.

Detlef Czybulka: Der Schutz unserer Meere. Gefährdungen, Chancen und Rechtslage eines einzigartigen Ökosystems. oekom 2024. Paperback, 424 Seiten.

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