Eine fesselnde Sammlung von Kurzgeschichten und wissenschaftlichen Texten zur Begegnung von Menschen mit anderen Tieren präsentiert die Professorin für Amerikanistik, Susanne Opfermann, mit ihren Buch Begegnungen mit (anderen) Tieren. Damit liefert sie vielen LeserInnen ganz neue, diskussionswürdige Perspektiven auf die tierliche Welt, die ja oft unter Nützlichkeits- und/oder Überlegenheitsaspekten und nur bei wenigen (Haus-/Kuschel-) Tierarten auch unter emotionalen und sozialen Aspekten betrachtet und erlebt wird.
Beobachtungen
Als erste führt die Wissenschaftlerin Karen Davis die
LeserInnen mit ihren langjährigen Beobachtungen in die Lebenswelt der Hühner
ein. Da begegnen uns liebe- und aufopferungsvolle Hähne, kontaktfreudige und im
wörtlichen Sinne selbstbewusste Hennen und Hühnervogelpersönlichkeiten mit erstaunlichen
kognitiven und sozialen Fähigkeiten. Es sind jedoch nicht nur die oft
überraschenden Erkenntnisse, die den/die LeserIn in ihren Bann ziehen, sondern
auch persönliche Beziehungen zu ihren „Forschungsgegenständen“, den die Wissenschaftlerin
in ihren Text mit einbringt, der wie alle Beiträge (nicht nur) der wissenschaftlichen
Abteilung des Buches wunderbar und fesselnd zu lesen sind. Das gilt auch für Barbara
Smuts Geschichte über ihre Annäherung an und „Aufnahme“ in eine Gemeinschaft
von Pavianen, die sich im Rahmen ihrer Forschungen als eine Art Tier-Mensch-Annäherungsprozess
entwickelte, der nicht nur die Forscherin selbst verändert hat, sondern auch
gewisse Wissenschaftskonzepte in Frage stellt. Eindrucksvoll, emotional und
doch wissenschaftlich fundiert präsentieren sich die Erfahrungen der Verhaltensforscherin
und Meeresbiologin Toni G. Frohoff, die mit Delfinen lacht und Walen buchstäblich
auf Augenhöhe begegnet.
Begegnungen
Waren die Vorhergehenden Aufsätze dem Aspekt „Beobachtungen“ zugeordnet, so folgen nun vier Geschichten von Begegnungen. Die, so schreibt die Herausgeberin in ihrem Vorwort, folgen dem bemerkenswerten Hinweis der berühmten Schimpansenforscherin Jane Goodall, „dass wir nicht Arten, sondern Individuen begegnen, und Individuen sind einzigartig“. So schreibt Anna Merz über ihre Beziehung zu einem wildlebenden Nashorn im Ngare Sergoi Rhino Sanctuary in Kenia. Wie viele andere Tiere hatte sie das schwarze Nashornweibchen von Hand aufziehen müssen und anschließend ausgewildert, weil ihre Mutter sie nicht angenommen hatte. Doch zwischen der Autorin und dem Nashorn entwickelte sich eine einzigartige Beziehung, denn das völlig wild und freilebende Tier hielt „das Band von Liebe, Vertrauen und Freundschaft zu mir lebendig bis zu ihren Tod.“
Die Geschichte des Naturschriftstellers Craig Childs über seine Begegnungen mit einer Gruppe von Raben in der Wüste des südlichen Utah, hat schon etwas Surrealistisches, Phantastisches und zieht seine Faszination aus einer inneren Reflektion des Wahrgenommenen. Stacy Young beschreibt eine auf den ersten Blick beinahe alltägliche Geschichte aus der Tierschützerwelt, den Versuch, ein wildes Kätzchen aus der Tötung zu retten und für eine bessere Zukunft an Menschen gewöhnen. Doch dieser Versuch oder besser das Kätzchen machte etwas mit ihr, das viele der LeserInnen überraschen und zum Nachdenken anregen dürfte. Auch in der Geschichte von Barbara Kingsolver geht es um einen Erkenntnisprozess, der letztendlich der in diesem Fall eher unfreiwilligen Beobachtung tierischer Protagonisten zu verdanken ist.
Gedankenspiele
Die literarischen Texte, die unter dem Begriff Gedankenspiele stehen, haben es ebenfalls in sich. So erzählt die Science-Fiction-Autorin Kij Johnson von der Evolution von Trixter-Geschichten unter den Hunden vom Noth Park nach der Wende. Nicht leicht zu verstehen, aber dennoch lässt sie den/die LeserInnen nicht los, berührt und beunruhigt. Ganz anders die Auseinandersetzung von Gregory Blake Smith, der sich mit einem Waschbären einen Mülltonnenwettbewerb liefert, der sich zu einer überaus merkwürdigen Beziehung entwickelt. Mit der recht kurzen, aber tiefgründigen Geschichte, in der Sie alle Lebewesen auf der Erde entnennt, also dafür sorgt, dass alle Tiere die ihnen verliehenen Namen an ihre Besitzer zurückgeben und damit in der Anonymität verschwinden, liefert die Feministin und Science-Fiction-Autorin einen bemerkenswerten Beitrag. Mit ihm stellt sie nicht nur die grundsätzliche Frage nach dem Mensch-Tier-Verhältnis, sondern bringt auch die damit zusammenhängenden und strukturell ähnlichen Aspekte des Rassismus, Sexismus, Klassismus und Speziesismus ins Spiel.
Ein durch und durch besonderes Buch
Begegnung mit (anderen) Tieren liest sich unerwartet leicht und zieht mit jeder Geschichte den/die LeserIn tiefer in seinen Bann. Schwerer zu verdauen sind gelegentlich durchaus die Inhalte, die so manche beliebten, gewohnten und bequemen Vorstellungen zum Mensch-Tier-Verhältnis in Frage stellen, dadurch aber zu neuen Erkenntnissen führen. Genau das macht den Reiz dieses Buches aus. Der Herausgeberin ist eine hervorragende Auswahl von Beiträgen gelungen, mit denen es gelingt, den Verstand und die Gefühle beim Lesen so zu beschäftigen, dass man sich in die jeweilige Thematik geradezu hineingesogen fühlt und sich das „Verdauen“ gewissermaßen als Nachhall der berührenden Lektüre über einen längeren Zeitraum erstreckt.
Susanne Opfermann (Hrsg.): Begegnungen mit (anderen) Tieren. Neofelis 2022. Taschenbuch, 219 Seiten
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen