Samstag, 9. Juli 2022

Rotbarts wilde Verwandte. Zur Kulturgeschichte des anthropogenen Artensterben

eine Buchvorstellung von Markus Bötefür

„Kein Mensch wird dadurch satt, dass Lebensmittel in gewaltigen Mengen vergeudet und vernichtet werden, um die Preise hochzuhalten.“ Was hat diese zweifellos richtige Feststellung in einem Buch über Raubkatzen zu suchen? Sehr viel, denn Wolfgang Schwerdt beschreibt in seinem überaus interessanten Werk über das von Menschen gemachte Artensterben dessen historischen Verlauf exemplarisch am Schicksal einiger Raubkatzenarten. Dass er Löwen, Tiger, Panther und Co. keineswegs zufällig ausgewählt hat, ist für diejenigen kein Wunder, die mit seinem Schrifttum vertraut sind. Schließlich ist der gelernte Journalist Schwerdt nicht nur ein Freund der Samtpfoten, sondern auch ein ausgewiesener Katzenkenner. Ein breites belletristisches Lesepublikum kennt ihn seit vielen Jahren als Vater des Schiffskaters Rotbart, eines auf den Planken frühneuzeitlicher Entdeckerschiffe segelnden und mit guter Beobachtungsgabe ausgestatteten Katers. Rotbart tritt auch im Buch über seine seiner wilden und meist viel größeren Verwandten in kurzes Passagen auf, was dem Buch einen angenehmen Schmökercharakter verleiht.

Marmorkatze und Sunda-Nebelparder

In „Rotbarts wilde Verwandte“ stellen Schwerdt und Rotbart die einzelnen Raubkatzen, darunter solch exotische Erscheinungen wie Marmorkatze und Sunda-Nebelparder, nicht allein als faszinierende Geschöpfe in ihren natürlichen Habitaten vor, sondern auch ihre „Funktion“ für den Menschen in einem Zeitalter, das (leider!) mit Fug und Recht als Anthropozän bezeichnet werden muss. Die Leser erfahren dabei Erstaunlichen: So wurden z. B. Leoparden nicht nur in den Arenen der römischen Antike in Massen niedergemetzelt, später als Schädlinge und Träger wunderschöner Felle gnadenlos bejagt, sondern sie dienten den Menschen bereits im alten Indien als Jagdgefährten, indem sie bei Parforcejagden die Funktion von Hunden einnahmen.

Schwerdt hat viel Arbeit und Mühe in sein Buch gesteckt, viele tausend Seiten historischer Literatur gewälzt und daraus ein farbenfrohes, schönes und zugleich sehr nachdenklich stimmendes Werk über die Geschichte und Bedrohung von Großkatzen auf unserem Planeten geschafften. Dass ihm dies gelungen ist, liegt weniger an Schiffskater Rotbart; es wurzelt vielmehr in seiner langjährigen Erfahrung als Wissenschaftsjournalist und Sachbuchautor, wo er vor allem als Schifffahrtshistoriker in Erscheinung getreten ist. Akribische Forschungsberichte über Takelage und Bruttoregistertonnen sucht man in seinen nautischen Abhandlungen aber ebenso vergebens wie in seinen Schiffskatzenstorys. Ihm geht es stets um das Mensch-Tier-Verhältnis in einer vom Menschen geprägten Welt. Dabei müssen es nicht immer so reale Kreaturen wie Tiger oder Schiffskater sein. Dem Vielschreiber Schwerdt genügen mitunter auch Drachen.

Artenschutz ohne Zeigefinger

Mit „Rotbarts wilde Verwandte“ ist Wolfgang Schwerdt ein außergewöhnliches Buch gelungen. Man spürt seine Leidenschaft für den Artenschutz. Trotzdem ist es kein dogmatisches Werk, denn sein Autor bleibt stets sachlich und trotz seiner unüberlesbaren Abneigung gegen das Waidwerk – und erst recht gegen die Katzenjagd! – immer fair. Eine Vielzahl historischer Abbildungen, die von der ägyptischen Antike bis ins 20. Jahrhundert reichen illustrieren dieses wunderschöne und äußert lehrreiche Buch, mit dem der Leser sich reich beschenkt fühlt.

Wolfgang Schwerdt: Rotbarts wilde Verwandte. Zur Kulturgeschichte des anthropogenen Artensterbens, Norderstedt 2019, 183 Seiten.

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