Kürzlich traf ich auf meinen Streifzügen durch die Zauberwälder des Regenbogenlandes auf einen sehr zuvorkommenden grauen Kater. Wir plauschten so über dies und jenes und natürlich auch über unsere Zweibeiner. Dabei stellte sich heraus, dass es sich bei dem ein wenig altmodisch maunzenden Artgenossen in gewissem Sinne nicht nur um einen Kollegen, sondern auch um eine echte aber total verkannte Berühmtheit handelt: den sogenannten Gestiefelten Kater.
Ich habe ihn natürlich gleich interviewt, schließlich gibt es da so einiges klarzustellen. Das beginnt bereits damit, dass in der Menschenwelt gar nicht bekannt ist, dass der gestiefelte Kater sein Vorbild in Fabien, dem Kater des Märchensammlers und -schreibers Charles Perrault (1628 – 1703) hatte. Nicht einmal die Tatsache, dass Perrault überhaupt einen Kater hatte, ist überliefert.Sally: Hallo Fabien, wie fühlt sich ein Kater, der schon seit unzähligen Katzenaltern als Vorbild in Büchern, Theaterstücken oder Filmen Zweibeiner jeden Alters begeistert?
Fabien: Ach, Verehrteste, das ist beileibe zu viel der Ehre, die Ihr mir da zuteilzuwerden geneigt seid. Le Maître Chat ou le Chat botté, den Ihr geneigt seid, als gestiefelten Kater zu bezeichnen, ist jedoch ganz und gar eine figure artistique, une idée, entsprungen der Phantasie meines Zweibeiners Charles Perrault. Das offenbart sich bereits in der in ihrer absurdité kaum zu überbietenden Vorstellung, ein Kater, oder mit Verlaub, natürlich auch eine Katze, könne einen Zweibeiner oder irgendein anderes Wesen als seinen Herrn anerkennen und sei es auch nur zum Scheine, gewissermaßen um des Seelenfriedens des gelegentlich ja recht nützlichen Menschen willen.
Oh non, ma chère chat, ich habe mich Monsieur Perrault lediglich anheischig gemacht, seiner Phantasie mit ein paar inspirations ein wenig behilflich zu sein.
Sally: Stammt die Idee mit den Stiefeln auch von Dir?
Fabien: Mais oui, naturellement, Charles wäre ohne meine Anregungen bei diesem literarisch anspruchsvollen Werk wohl zum Scheitern verurteilt gewesen. Allein es waren nicht nur die Ideen, die meinem esprit ohnehin unermüdlich wie ein erfrischender Quell entsprangen, die den extraordinairen Wert meines Schaffens begründeten. Es war vielmehr meine besondere sensibilité, durch die ich in der Lage war, ihm meine naturgemäß bedeutsamen Gedanken so zu vermitteln, dass er zu der Überzeugung gelangte, sie seien seinem, im Vergleich zu unserem mental ja eher bescheiden ausgestatteten, Menschengehirn entsprungen. Katz will seinen Menschen ja nicht über Gebühr mit der manifestation ihrer Überlegenheit verletzen.
D'ailleurs, im Falle der bottes genügte es, seine Stiefel, die er gerade neu hatte anfertigen lassen, einer eingehenden Prüfung und marque olfactive zu unterziehen. An seinem begeisterten Ausruf „merde, c'est pour le chat maintenant“, der für Eure Leser wohl mit „die sind jetzt für die Katz“ übersetzt werden dürfte, lässt sich ermessen, welche Wirkung meine dezenten Hinweise zu entfalten vermochten. Gleichermaßen dürften die ständigen Geschenke an Ratten, Mäusen oder anderem wilden Getier, die natürlich eine Gegenleistung erheischten, bedauerlicherweise in räuberisch-erpresserischer Auslegung ihren Niederschlag im Le Maître Chat ou le Chat botté gefunden haben. Und natürlich habe ich die Stiefel nicht als Schuhwerk verwendet, das wäre einem gestandenen Katertier doch ein wenig unwürdig gewesen. Aber als komfortabler, weicher und anschmiegsamer Ruheort hatten sie sich doch als außerordentlich nützlich und meinem Stande als angemessen erwiesen.
Sally: Mein Mensch Wolfgang hatte ja mal die
Geschichte vom gestiefelten Kater in seinem Buch Brüder Grimms Katzen
folgendermaßen zusammengefasst: „Der gestiefelte Kater … ist vordergründig
die Story eines listigen Katers, der seinem Herrn, einem armen Müllerssohn, zu
gewaltigem Reichtum und zur Hochzeit mit der obligatorischen Märchenprinzessin
verhilft. Bei genauerer Betrachtung handelt es sich allerdings um eine
Geschichte von Hochstapelei, Raubmord, Nötigung und skrupellosem Betrug.“
Kannst Du diese Einschätzung teilen?
Fabien: Tout à fait, ma chère. Natürlich, das hätte ich nicht besser zum Ausdruck bringen können. Charles hatte ja die Angewohnheit, mit seinen Märchen die Pariser Gesellschaft zu unterhalten, ihr aber gleichzeitig die moralische Verfasstheit vor allem der adeligen Führungseliten vor Augen zu halten. Deshalb hatte er ja seinen Märchen auch immer moralische Verse angefügt, selon le thème „und die Moral von der Geschicht“, wie ihr es zu nennen pflegt. En effet hatte er seine Zeitgenossen damit recht ausgiebig beeindruckt. In den Pariser Salons beliebte man diesen Unsinn als satire zu bezeichnen. So erlaubte er sich zum Märchen des gestiefelten Katers beispielsweise folgende morale zum besten zu geben: „Erbschaft allein tuts nicht … Wir alle kennen Millionäre, deren Väter nicht das Brot hatten, und Bettler, deren Großväter in Palästen wohnten.“ Oder „Etwas großes im Kopf ist mehr Wert als große Ländereien außerhalb des Kopfes - und etwas Mutterwitz mehr als alles Mütterliche und Väterliche zusammengenommen.“
Wenn ich bei Charles Lesungen in den Salons la réaction du public beobachtete, deuchte mich toutefois, dass den mesdames und messieurs, die Bedeutung dieser satire nicht immer so recht eingängig gewesen ist.
Sally: Du warst selbst dabei? Wie hat denn das Publikum auf Dich reagiert
Fabien: Bien sûr ich war zugegen, wenn Charles insbesondere das Märchen vom gestiefelten Kater rezitierte. Das konnte ich mir doch nicht entgehen lassen, schließlich war es ja eigentlich als mein Werk zu betrachten, das dieser Mensch lediglich in der ihm eigenen Unvollkommenheit für ein menschliches Publikum aufbereitet hatte. Die Herren erdreisteten sich, mich einfach zu ignorieren, meine Wirkung auf die Damen war jedoch enorm. Und so verbrachte ich zunächst so manchen Abend auf dem Schoße einer verzückten dame de la haute société, die angesichts meines weichen Fells und dem hingebungsvollen Schnurren nicht nur außerstande war, mir zu widerstehen, sondern auch, dem Vortrage meines Menschen zu folgen.
Mithin, diese Phase des Genusses währte nicht allzu lang, denn Charles glaubte, seine bescheidenen literarischen Fähigkeiten bedürften einer deutlich größeren attention als mein Wohlbefinden. Und so gefiel es ihm, eines Tages einen meiner Schlafstiefel mit in den Salon zu nehmen und mich unterwürfigst zu bitten, die Zeit seiner présentation darinnen zu verbringen. Übrigens nicht die schlechteste seiner Ideen. Allein durch die Symbolik des Stiefels, dessen unumstrittener Eigentümer zu sein ich mich rühmen durfte, wurde dem Publikum die eigentliche Urheberschaft von Charles Werken offenbar.
Sally: Und warum ist dann so gar nichts von Dir überliefert?
Fabien: Das ist ohne jeden Zweifel der Zeit in der ich lebte zu verdanken. Damals schickte es sich nicht, reale Tiere, ja nicht einmal Katzen literarisch zu würdigen. Sie wurden bestenfalls in Fabeln und Märchen oder eben in der Satire missbraucht, um der Gesellschaft ausgerechnet die menschlichen Unzulänglichkeiten und Charakterschwächen vor Augen zu halten, die uns selbst bekanntlich völlig fremd sind. Und so ist es nur natürlich, dass zwar die figure fantastique des gestiefelten Katers die Zeiten überdauert und in immer neuen Formen und Geschichten gewissermaßen Unsterblichkeit erreicht hat, das Wissen um meine Existenz mithin bereits mit meinem Ableben begann, zu verblassen.
Sally: Dann freue ich mich ja besonders, dass Dich Wolfgang mit der Veröffentlichung meines Interviews ein wenig aus dem Dunkel des Vergessens herausholen kann. Und ich wünsche mir, dass dies zu der Anerkennung führt, die Dir gebührt. Vielen Dank für das Gespräch.
Fabien: Es war mir ein plaisir extraordinaire, mit Euch, ma chère chat Sally ausgiebig zu maunzen. Möge Dein Mensch durch die publication dieses Gespräches ebenso berühmt und unsterblich werden, wie der meine durch das unermüdliche inspirative Engagement, dass ich ihm zuteilwerden ließ.
Doch lasst mich noch eines ergänzen ma chère: Angesichts gewisser moderner Darstellungen des gestiefelten Katers, meine ich doch, mich glücklich schätzen zu dürfen, mit dem Märchenprotagonisten nicht mehr in direkten Zusammenhang gebracht zu werden.
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