Geschichten über Kratzdistel, Besenginster & Co.
Mit der biologischen Systematik von Pflanzen werde ich mich wohl nie anfreunden können, sie erscheint mir - möglicherweise sehr subjektiv – ungleich komplizierter als die der Tiere. Gerade deshalb habe ich mich an das Buch von Ewald Weber „Wo die wilden Pflanzen wohnen“ gewagt und damit gewissermaßen eine Expedition in die Welt der Blätter, Blüten und Früchte unternommen. Eine spannende Reise, bei der es mir gelungen ist, zwar nicht mit den tiefen der Systematik, wohl aber mit der faszinierenden Welt der grünen Überlebensstrategen Freundschaft zu schließen.Die vielschichtige Welt der „gewöhnlichen“ Pflanzen
Gerade einmal vier Seiten braucht der Biologe Ewald Weber, um dem/der LeserIn (also sogar mir) sowohl die groben Züge der floralen Taxonomie als auch die Systematik der von ihm vorgestellten Pflanzen verständlich zu machen. Weber befasst sich in seinem Buch ausschließlich mit Samenpflanzen, also Gewächsen, die Blüten bilden und sich durch Samen vermehren. Als inhaltliche Gliederung hat der Autor die verschiedenen Lebens- und Wuchsformen gewählt. Und so beginnt er mit den sogenannten Einjährigen, zu denen beispielsweise die Kornblume gehört. Bereits die Biologie dieser Pflanze ist bei im wörtlichen Sinne näherer Betrachtung faszinierend. Mindestens ebenso spannend die kulturgeschichtlichen Hintergründe. So gehört die Kornblume hierzulande zu den Archäophyten (Alteinwanderer), denn sie ist vor langer Zeit wohl aus dem östlichen Mittelmeergebiet durch Saatgut nach Mitteleuropa verschleppt worden. Zudem steht die Pflanze (wie andere Ackerbegleitpflanzen) auf der Roten Liste bedrohter Arten, andererseits auf „Unkrautlisten“ mit entsprechenden Bekämpfungsempfehlungen.
Lebensstrategien und Interaktionen
Aus der Kategorie der mehrjährigen Pflanzen hat der Autor neben der wilden Möhre, einem Doldengewächs, zu denen auch der Riesen-Bärenklau gehört, die Acker-Kratzdistel, den Wiesen-Löwenzahn, die Natternköpfe, die große Brennnessel oder die Herbstzeitlose ausgewählt. Eine aufregende Vielfalt an Vermehrungskonzepten, Interaktionen mit Tieren und klimatischen Anpassungen und giftigen Abwehrmechanismen von denen der unbedarfte Betrachter kaum etwas ahnt.
Mit Haselstrauch Holunder & Co stellt Ewald Weber im nächsten Zug Sträucher vor und führt damit in die Welt der Gehölze ein, bei denen der Übergang von Strauch zu Baum fließend ist. Bereits hier begegnen dem/der Leserin neben den obligatorischen Insekten auch zahlreiche Vertreter der größeren Fauna als Nutznießer pflanzlicher Angebote und Strukturen und längst hat sich bei der Lektüre herausgestellt, wie umfassend und komplex die Wechselverhältnisse und der Austausch zwischen Flora und Fauna sowohl im individuellen als auch in großem Maßstab sind.
Von Bäumen und Lianen
Im Kapitel über die Bäume begegnen uns die Fichte, die Kiefer, der Ahorn, die Birke, die Eiche und die Buche. Nichts Besonderes, so scheint es, bis wir auch ihre jeweiligen Lebensweisen, ihre Familien, ihre Kultur-, und Naturgeschichte kennengelernt haben. Und am Ende lernen wir noch die Pflanzenarten kennen, die wir zwar überall bei uns finden, aber eher in exotischen Wettgegenden verorten: Die Schling- bzw. Kletterpflanzen, allen voran die Liane mit immergrünen Blättern, auch als Efeu bekannt.
Der ist bei uns so selbstverständlich, dass und gar nicht bewusst ist, mit welch einer außergewöhnlichen Familie wir es bei den Araliengewächsen zu tun haben. Und auch der Hopfen aus der Familie der Hanfgewächse hat bei näherer Beschäftigung weitaus mehr zu bieten als Bierwürze.
Eine faszinierende Expedition in das Reich der Pflanzen
Das Lesen dieses Buches mach Spaß und der/die LeserIn begibt sich bei der Lektüre tatsächlich auf eine spannende Entdeckungsreise, die dazu anregt, diese beim nächsten Spaziergang ganz praktisch fortzusetzen. In jedem Fall ist es Ewald Weber gelungen, mir einen neuen Blick auf Pflanzen als wahrhaft originelle, vielseitige und faszinierende Lebewesen zu eröffnen.
Ewald Weber: Wo die wilden Pflanzen wohnen. Geschichten über Kratzdistel, Besenginster & Co. Oekom 2022. Gebunden 254 Seiten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen