Die faszinierende Welt der Fledermäuse
Allein rund 1400 Arten umfasst die Ordnung der Fledertiere. Damit machen diese fliegenden Säuger nach den Nagern mit rund einem Fünftel die zweitgrößte Gruppe unter den Säugetieren aus. Dennoch war die Biologie der Geschöpfe der Nacht in der Öffentlichkeit noch bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus nahezu unbekannt, die faszinierenden Wesen vor allem Gegenstand von schauerlichen Mythen und Vorurteilen. Der Biologe Klaus Richards, der sich seit vielen Jahrzehnten unter anderem mit den Flugsäugern beschäftigt, führt mit seinem Buch Nachtflug in die unglaublich vielfältige reale Welt der Fledertiere ein.Vom Sündenbock zur Kultfigur
Mit seinem Kapitel Fledermäuse und Mensch führt der Autor in die Kulturgeschichte der Fledermäuse ein. Und die reicht – je nach Kulturkreis - von der Vergötterung oder Verteufelung des Flattertieres, über die Vorbildfunktion für Flugapparate bis zur wirtschaftlichen Verwertung seiner Hinterlassenschaften und nicht zuletzt verdankt die Fledermaus ihr geheimnisvoll bedrohliches Image der Literatur des 19. Jahrhunderts. Mit den Kapiteln über die Forschungs- und Naturgeschichte lässt Klaus Richards den/die LeserIn schließlich in die Welt der ehemals als Handflügler bezeichneten Tiere eintauchen.
Mit den Ohren sehen
Nicht zufällig beginnt der Biologe dabei mit dem Kapitel Formenvielfalt. Denn die bestimmt nicht nur das Aussehen der Fledermäuse, sondern auch ihre jeweils speziellen Eigenschaften und Fähigkeiten. Die beschränken sich nicht nur auf die inzwischen als ein zentrales Merkmal bekannte Echoortung. Immerhin, (übrigens nicht alle) können Fledermäuse mithilfe ihrer artspezifischen akustischen Ortungssysteme selbst in tiefster Finsternis wohl mindestens ebenso gut sehen, wie wir Menschen mit unseren Augen bei Licht. Und während unser Gesicht mit der Anordnung der Augen und der Gesichtsschädelform optimal auf unsere Art der Wahrnehmung ausgebildet ist, hat die Natur für die Fledermäuse ebenfalls eine optimierte Physiognomie entwickelt.
Die Schönheit im Auge des Betrachters
Diese Physiognomie mit ihren Hautfalten, und artspezifisch ausgeprägten Besonderheiten ist nach unseren Schönheitsvorstellungen nicht immer unbedingt als gelungen anzusehen, dafür aber hochfunktionell. Was dem Betrachter da alles begegnet drücken bereits die Bezeichnungen wie Greisengesicht, Spießblattnase, Schirmfledermaus, Hasenmaul oder Fransenlippenfledermaus aus. Dass es unter den Fledertieren auch ausgesprochen niedliche Exemplare gibt, soll hier natürlich nicht verschwiegen werden. Glücklicherweise kann sich mittels der mehr als 250 auf dem Cover zu Recht als spektakulär bezeichneten Fotos jede/r Betrachter selbst ein Bild machen. Bei so manchem Foto weicht der anfängliche Schreck beim Blick in die Gesichter der Faszination und dem Interesse, mehr über diese unglaublichen Wesen zu erfahren.
Eine unglaubliche Vielfalt
Dieses Bedürfnis zu befriedigen, gelingt dem Autor in den folgenden Kapiteln, in denen er auch einen Zusammenhang zwischen den Körpermerkmalen und der Nahrung, dem Lebensraum, dem Sozialverhalten oder der Jagdtechnik herstellt. Denn Fledermäuse sind überwiegend Jäger, Fleischfresser, die sich je nach Größe oder Lebensraum nicht nur mit Insekten zufriedengeben, sondern auch Eidechsen, Frösche, Mäuse oder Fische vertilgen. Auch hier liefern die Fotos spannende Einblicke. Dass es bei der unglaublichen Vielfalt auch Vegetarier unter den Flattertieren gibt, versteht sich von selbst. Das reicht von den auf Früchte spezialisierten Flughunden bis hin zu den kolibriartigen Blütenfledermäusen, deren Aufgabe die Bestäubung von Kakteen und anderen Pflanzen ist.
Evolutionäres Erfolgsmodell als Opfer des Anthropozäns
Fledermäuse haben sich über einen Zeitraum von rund 50 Millionen Jahren entwickelt und dabei mit ihren etwa 1400 teilweise hochspezialisierten Arten die verschiedensten Lebensräume und -bedingungen erschlossen. Diese Spezialisierung ist es aber auch der Grund dafür die viele Arten heute vom Aussterben bedroht sind. Dieser Bedrohung kann vor allem durch eine bessere Kenntnis der Existenzbedingungen begegnet werden und so befassen sich die letzten Kapitel sehr ausführlich mit der Feldforschung, ihren Methoden und Erkenntnissen, mit möglichen Schutzmaßnahmen, nationalen Artenschutzvorschriften und internationalen Regelungen.
Am Ende liefert der Autor noch einmal einen umfassenden taxonomischen Überblick über die Familien, Gattungen und Arten und der exemplarischen Vorstellung einzelner Arten und ihrer Besonderheiten. Dieser Überblick ist alles andere als trocken und führt dem Leser noch einmal vor Augen, was die Faszination dieser außerordentlichen Säugetiergattung ausmacht.
Klaus Richards: Nachtflug. Die faszinierende Welt der Fledermäuse. wbgTheiss 2021. Hardcover mit Schutzumschlag, 272 Seiten.
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