Endlich verstehen, was biologische Vielfalt für unser Leben bedeutet
So genial der Titel dieses Buches ist, so sperrig präsentiert sich der Untertitel. Aber er stimmt! Allein über die Titelfrage lässt sich noch vor der Lektüre des Buches wunderbar grübeln. Dass die Antwort auf diese spezielle „Mückenfrage“ erst spät kommt, trägt sicher neben den unterhaltsam präsentierten und gut strukturierten Informationen dazu bei, diese bis zum Ende in sich aufzusaugen. Je nach Temperament mag der eine angesichts der aufgezeigten Entwicklungen verzweifeln, der andere Hoffnung auf eine grundlegende Wende entwickeln.Mitdenken statt konsumieren
Welche Schlussfolgerungen die LeserIn auch immer aus diesem Buch ziehen mag, sie sind gut begründet. Denn die Autorinnen Frauke Fischer und Hilke Oberhansberg holen jede LeserIn persönlich ab. Ob es sich um Menschen handelt, die sich in ihrem Verhalten vor allem am Nutzen der Natur, Tier- und Pflanzenwelt für sich und die „Menschheit“ orientieren, ob die Umweltbewegten die Lektüre eher mit moralischen Motiven starten, ob jemand lediglich nach knallharten Argumenten für sein Naturschutzengagement sucht, sie alle werden hier gut bedient. Und das beste: Trotz aller Informationen, Argumente und Perspektiven, die dieses Buch liefert, bleibt jede Menge Raum für eigene Gedanken.
Was ist eigentlich Biodiversität?
„Damit wir uns richtig verstehen“ lautet das erste Kapitel, das die Grundlagen für die weiteren Ausführungen, Informationen und Gedanken liefert. Denn auch wenn der Begriff in aller Munde ist, was Biodiversität tatsächlich bedeutet, dürfte auch Umweltbewegten nicht immer in seiner ganzen Tiefe präsent sein. Denn, so die Autorinnen, Biodiversität besteht nicht nur in der Anzahl verschiedener Arten, sondern im Dreiklang von Vielfalt der Arten, der genetischen Vielfalt innerhalb der Arten und der Vielfalt der Ökosysteme in denen sie leben. Mit anschaulichen Beispielen und ohne Fachchinesisch erläutern die Autorinnen die drei Begriffe und es wird deutlich, dass es sich dabei nicht um irgendwelche Zahlenspielereien, sondern um jeweils miteinander in Beziehung stehende dynamische Systeme handelt, deren jeweilige menschengemachte Beeinträchtigungen sich nicht mit „Wiedergutmachungsversuchen“ wie „Renaturierung“ oder Wiederaufforstung gegeneinander aufrechnen lassen.
Unterhaltsam, verständlich, komplex
Im Folgenden beschäftigen sich die Autorinnen mit allen Aspekten der menschengemachten Umweltbeeinflussung (aber auch der natürlichen Prozesse) die uns in ihren ökonomischen, gesellschaftlichen und klimatischen Auswirkungen inzwischen nahezu täglich beschäftigen. Dass dazu auch Corona gehört, versteht sich zumindest in dieser Abhandlung von selbst. Immer wieder stößt die LeserIn auf Themen und Informationen, die ihr auf den ersten Blick geläufig erscheinen (Artensterben, Regenwald, Energie, Klimawandel, Trockenheit, Naturkatastrophen, Landwirtschaft, Tourismus . . . ) nur um festzustellen, dass die allgemeine und öffentliche Diskussion meist nur an der Oberfläche kratzt. Es ist immer wieder erstaunlich, wie unterhaltsam und verständlich es hier gelungen ist, sachliche Informationen, Strukturen und komplexe dynamische Prozesse auf mit 213 Taschenbuchseiten recht knappem Platz zusammen zu bringen.
Schlichtweg überzeugend
Nicht zuletzt überzeugt dieses Buch mit den nicht nur im Kapitel „Und die Moral von der Geschicht“ vorgenommenen Perspektivwechseln, die sich unter anderem in der Frage der Mücke ausdrücken: „Was hat der Mensch je für uns getan.“
Es ist ein außerordentlich intelligent konzipiertes und geschriebenes Buch, dessen Lektüre ich jedem empfehlen kann, einfach, weil die Autorinnen trotz der Vielschichtigkeit des Themas an keiner Stelle die inhaltliche Linie verlieren und zudem auch die gesellschaftlichen und menschlichen Hintergründe beleuchten, die wider besseres Wissen zu unserem selbstzerstörerischen Verhalten führen. Lösungsansätze für dieses existenzielle Dilemma fehlen ebenfalls nicht, weshalb die LeserIn am Ende auch angesichts der aufgezeigten Entwicklungen die Wahl hat, zu verzweifeln, oder Hoffnung auf eine grundlegende Wende zu entwickeln.
Frauke Fischer, Hilke Oberhansberg: Was hat die Mücke je für uns getan. Endlich verstehen, was biologische Vielfalt bedeutet. Oekom Verlag 2020, Taschenbuch 219 Seiten.
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