Band 17 der Reihe Tierstudien
Der 17. Band der Tierstudien des
Neofelis Verlages befasst sich mit dem Thema Tiere und Emotionen und
verbindet dabei die Emotionsforschung und die Animal Studies.
Letzteren ist die gesamte Reihe gewidmet, die sich mit
unterschiedlichen Perspektiven und Schwerpunkten mit dem
Mensch-Tier-Verhältnis in Geschichte und Gegenwart auseinandersetzt.
Das Thema Tiere und Emotionen ist heute vor dem Hintergrund der
Diskussionen um Massentierhaltung und Tierversuche von hoher
Aktualität, obwohl es bereits seit der Antike Gegenstand von
Philosophie und Ethik und Literatur ist.
Als Tiere und Menschen noch
zusammengehörten
So befasst sich der erste Beitrag der
Kulturwissenschaftlerin Kerstin Geßner mit den antiken Wurzeln der
Mensch-Tier-Beziehungen. Die in der pythagoreischen Gedankenwelt
postulierte Seelengleichheit von Mensch und Tier begründete das
antike Prinzip des friedlichen Miteinander aller Kreaturen. In
pythagoreischen Kreisen führte das zum Verzicht auf Fleisch- und
Fischverzehr und zur Ablehnung der Misshandlung und rücksichtslosen
Ausbeutung der tierischen Arbeitskraft. Nicht zuletzt die Ähnlichkeit
der Emotionen und Gefühle der verschiedenen Tierarten - zu denen
auch der Mensch zählte – galt als Beleg für die Seelengleichheit
und damit der Grundlage für die gegenseitige Rücksichtnahme.
Selbstverständlich handelte es sich
dabei um eine philosophischer Idealkonstruktion, denn der
pythagoreische Dreiklang aus Seelengleichheit, Freundschaft und
Verwandtschaft als „Chiffre für eine ideale Utopie“ geriet immer
wieder mit der gesellschaftlichen Realität in Konflikt. Der wurde am
Ende Aristoteles mit seiner Vorstellung der scala naturae,
einer naturgegebenen Hierarchie von Pflanzen, Tieren und Menschen
gerecht. So reduzierte Aristoteles „die Pflanzen- und Tierseele auf
eine rein vegetative und affektive Stufe. Geist und Verstand wurden
nun zum Alleinstellungsmerkmal des Menschen.
Ein literarisches Sittengemälde der
Tier-Mensch-Beziehung der Vormoderne
Emotionale Mensch-Tier-Bindungen
durchziehen die Literatur von der Antike bis heute. In ihrem Beitrag
Gefährliche Gefährtenschaft untersucht die
Literaturwissenschaftlerin Susanne Schul wie Tier-Mensch-Beziehungen
medial geprägt werden und beschäftigt sich mit der Frage,
„inwieweit Tiere dabei nicht nur als Effekte einer um- und
abgeleiteten Eigen- oder Ersatzliebe gelten, sondern auch selbst als
Akteur*innen emotionaler Praktiken in Erscheinung treten können“.
Anhand einer Erzählung im spätmittelalterlichen Prosaepos Königin
Sibille untersucht sie diese und andere Fragen mithilfe einer
Kombination von tier- und emotionstheoretischen Ansätzen. Der Leser
bekommt einen tiefen Einblick in die Konstruktionen und Intentionen
der mittelalterlichen Literatur, die die Gefährtenschaft zwischen
Mensch und Tier – in diesem Fall Hund und Mensch – in das
christlich-ständisch geprägte Ordnungsmodell der Vormoderne
einbettet.
Hund-Mensch-Beziehungen im 18.
Jahrhundert
Die Historikerin Aline Steinbrecher
schließt mit ihrem Aufsatz Vermisstenanzeigen für Hunde aus
dem 18. Jahrhundert, die sie dem Leser mithilfe eines
emotionshistorischen Ansatzes erschließt, mit dem Kapitel
„Historische Dimensionen“ ab. Die Autorin analysiert die Anzeigen
aus den „Wöchentlichen Frankfurter Frag- und Anzeigennachrichten“
von 1722 bis 1820 und stellt sie in Zusammenhang mit den
„konventionellen Standards und Stilen, die die Produktion und den
Umgang mit Gefühlen in einer gegebenen Gesellschaft bestimmen“.
Die etwas sperrige Beschreibung der wissenschaftlichen Ansätze
sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass das auch dieses Thema
außerordentlich interessant und vielschichtig ist. Denn neben den
jeweiligen emotionstheoretischen Interpretationen präsentiert die
Autorin dem Leser spannende historische Hintergrundinformationen.
Dabei geht es nicht nur um die aus den Anzeigentexten hervorgehenden
Indizien für die jeweiligen Hund-Mensch-Beziehungen, sondern auch um
den Einfluss gesetzlicher Vorschriften zur Hundehaltung,
Hundediebstahl oder die Rolle von Hundeaccessoires.
Kuschelige Löwen und mörderische
Bestien
Auch die weiteren Beiträge kommen
naturgemäß ohne historische Komponente nicht aus. Die beiden im
Kapitel „Emotionale Tier-Mensch Beziehungen in der Praxis“
publizierten Aufsätze sind zeitlich jedenfalls in der Kolonialzeit
zu verorten. Die Kulturwissenschaftlerin Lea Pfäffi führt ihre
Leser in die koloniale Arktis und vermittelt die enge, ja
existenzielle Verbindung der Arktisforscher mit ihren
Schlittenhunden. Deutlich wird dabei auch, wie wichtig indigenes
Wissen und Kulturtechnik für den Umgang mit den Schlittenhunden
waren und welchen auch emotionalen Stellenwert die Tiere in der
menschlichen Forschungsgemeinschaft einnahmen.
Die Historikerin Gesine Krüger
beeindruckt den Leser mit ihrem Beitrag Löwenliebe.
Emotionale Bindungen zu den großen Katzen finden sich zahlreich in
der Literatur. Nachdem Darwin in seinem Werk „Abstammung des
Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl“ den Tieren ihre
Emotionalität, Individualität und Persönlichkeit „zurückgegeben
„ hatte, warteten unter anderem Alfred Brehm oder Joy Adamson in
ihren Büchern mit zahlreichen Anekdoten und Geschichten von innigen
Verhältnissen zwischen Menschen und Löwen auf. Auf Gesine Krügers
Streifzug durch die Geschichte der Mensch-Löwen-Beziehungen trifft
der Leser auch auf die legendären Löwen von Tsavo, die in diesem
Zusammenhang neben anderen Beispielen insofern interessant sind, als
dass sie als Ghost und Darkness in negativem Sinne individualisiert
und emotionalisiert wurden.
Frankensteins Kollegen und
deprimierte Fische
Keine Frage, auch die Beiträge des
folgenden Kapitels „Wissenschaftliche Forschungsmethoden der
Annäherung an tierliche Emotionen“ sind außerordentlich
informativ und spannend und gelegentlich auch verstörend. Etwa, wenn
die Wissenschaftshistorikerin Stephanie Eichberg über die tierlichen
Emotionen in den Neurowissenschaften des 19. Jahrhunderts berichtet.
Aufschlussreich und hinsichtlich unseres Umgangs mit diesen Tieren
ebenfalls bestürzend sind auch die Ausführungen des
Verhaltensforschers Jonathan Balcombe, der vom erstaunlich reichen
emotionalen und selbstbewussten Leben der Fische erzählt: „Unter
anderem haben Fische Persönlichkeiten, sie planen, erkennen,
erinnern sich […] haben Traditionen […] werden deprimiert,
benutzen Werkzeuge, lernen durch Beobachtung und bilden mentale
Karten.“
Denkanstöße
Der Abschnitt Vermittlung von und
Austausch über Tiere und Emotionen beginnt mit einem
denkwürdigen agrar-philosophischen Gespräch zwischen dem
Philosophieprofessor Uriah Kriegel und dem Agrarpolitologen Philipp
von Gall. Sie setzten sich mit der Frage des (heute wissenschaftlich
unstrittigen) emotionalen Bewusstseins bei Tieren und seiner
politischen Bedeutung auseinander. Da spielen natürlich ethische und
moralische Fragen eine Rolle aber auch neue Perspektiven und
Definitionen, beispielsweise zur Frage des Tierwohls, der
artgerechten Haltung oder die Vorstellung von gutem Leben aus
Tiersicht. Dieser Dialog hat es in sich! Schon eher im für den Leser
vertrauten Rahmen bewegt sich hingegen das vom Ethologen und
Verhaltensökologen Marc Bekoff vorgestellte amerikanische Projekt
„Kunst hinter Gittern“ im dessen Rahmen Gefangene durch die
künstlerische Auseinandersetzung mit Tieren und Umwelt Fähigkeiten
zu entdecken und zu entwickeln, um sich später wieder in die
Gesellschaft zu integrieren.
Tierische Emotionen in der Kunst
Um die künstlerische Annäherung an
tierische Emotionen geht es auch in den folgenden Beiträgen. Die
Kunsthistorikerin Ellen Spikernagel stellt die faszinierende Welt von
Rembrandt Bugattis Zootieren (Plastiken) vor, Die Illustratorin Lena
Winkel schreibt über ihre Sicht der Tiere als Emotionscontainer im
zeitgenössischen Bilderbuch, ein Beitrag, der tatsächlich
interessanter ist, als er klingt. Denn er macht deutlich, dass
Kinderbuchillustrationen nicht nur eine handwerklich-künstlerische
Angelegenheit sind, sondern mit sehr viel mehr Gedankenarbeit
verbunden sind, als man gemeinhin annimmt.
Mit dem Abschnitt Künstlerische
Positionen entlässt der 17. Band der Reihe Tierstudien den Leser
auf eine recht wortkarge Art. In Bildern und Skizzen präsentiert
die Performance-Künstlerin Kathy High ihre lachenden Ratten – ja,
auch Tiere können lachen und mit Fotos von Ross Taylor, der
trauernde Menschen im Angesicht des Todes ihres geliebten Tieres
zeigt, endet die Reise in die Welt der tierischen Emotionen.
Jessica Ullrich, Marianne Sommer:
Tierstudien 17/2020. Tiere und Emotionen. Neofelis Verlag 2020.
Taschenbuch 171 Seiten
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