Katze Sally
im Gespräch mit
Egon dem Kater
Eigentlich war es ja zu erwarten: Beim
Interview zwischen Wolfgang Schwerdt (hab ich mir aus welchen Gründen auch
immer als meinen Menschen ausgesucht), Anna Janas, die (Plapper-) Tante von
Egon, und Egon dem Kater kam ausgerechnet der edle norwegische Waldfeline nur
unzureichend zu Wort – Menschen eben! Zum Beweis habe ich hier den Link zumMenscheninterview in der Nordhessenschau beifügen lassen. Allein die Tatsache,
dass dort das Bild von Anna an erster Stelle kommt, ist ja wohl bezeichnend
genug.
Als gestandene – der Ausgewogenheit
verpflichtete – Journalistenkatze habe ich nun beschlossen, selbst ein
Interview mit Egon zu führen, um seiner Bedeutung im Publikationsprozess, der
dem obengenannten Interview eigentlich zugrunde liegt, gerecht zu werden.
Egon: Bin ich schon auf Sendung?
Einszwei. Einszwei. (schmatzt nervös)
Sally:
Egon, du hattest aufgrund eines
gravierenden Fehlers, den deine Menschin mit der Aufnahme von Max begangen
hatte, statt zu Gewalt, zur Feder gegriffen. Was hat dich dazu bewogen?
Egon: Ich brauchte ein Ventil.
Selbstverständlich hätte ich auch Max verhauen können. Aber da hätten andere
nichts von gehabt. Ich hätte nur das Leid nur weitergegeben und immer
wiederholt So habe ich stattdessen meine Affekte veredelt und ein kleines Stück
Weltliteratur geschaffen, und man nennt das Sublimierung.
Sally:
Du hast dich dann entschieden,
deine Gefühle nicht nur deinem Tagebuch anzuvertrauen, sondern auch in Form
eines Taschenbuches zu veröffentlichen. Was war der Grund, wer ist die
Zielgruppe?
Egon: Es war nun schon einmal
niedergeschrieben, und da war der Schritt zum Verlegen nur noch ein kleiner. Es
gibt kaum etwas, das mir ferner läge als Egoismus. Warum sollen nicht andere in
einer ähnlichen Situation, ob sie sich nun auf Täter- oder Opferseite befinden,
von meinen Erfahrungen profitieren?
Das
beantwortet zugleich die Frage nach der Zielgruppe. Viel Unglück kann vermieden
werden, wenn sich Frauchen/ Herrchen wie auch zur Vermittlung entschlossene
junge Katzen im Vorfeld bewusst darüber sind, was sie ggf. im anderen
anrichten. Vielleicht kann mein Buch auch anderen Betroffenen Mut machen.
Ich will
nicht leugnen, dass ich der Lebensgemeinschaft mit Max mittlerweile auch gute
Seiten abgewinne, nicht wenige sogar, aber dennoch bleibt, was damals geschah,
ein fundamentaler Einschnitt in meiner Seele, der einfach nicht heilen will.
Sally:
Weil das Buch so wichtig ist, für
die Menschheit und unsere Mitfelinen, weise ich an dieser Stelle noch einmal
ausdrücklich darauf hin: Es geht um das inzwischen legendäre „Tagebuch einesfrustrierten Katers“. Warum hast du eigentlich statt deiner Menschin deine
Tante Anna gebeten, die Aufzeichnungen in Zweibeinerschrift zu übertragen?
Egon: Mama? Daran habe ich keinen
Augenblick lang gedacht. Das wäre ja, wie bei seinem Kidnapper einen Notruf
abzusetzen, damit er ihn weiterleitet.
Dazu fällt
mir noch eine Zeichnung von Alf Poier ein mit dem Titel: „Ertrinkendes Mädchen
rettet sich ins Feuer“ … passt das hier?
Ich brauchte
also eine andere Strategie. Weil ich weiß, dass der Mensch, unbescheiden, wie
er nun einmal ist, seinen Namen gern auf Buchtiteln sieht, und weil sie meine
Lieblingstante ist, ist meine Wahl auf Anna gefallen. Das ist ok, so war der
Deal. Meine Geschichte, dein Name. Ich hatte ihr ja auch beim letzten Interview
bewusst den Vortritt gelassen. Sie hat es aber verdient. Sie ist in hohem Maße zartfühlend
und war auch damals in der Situation, als Max hereinbrach, glaube ich auf
meiner Seite.
Sally:
Du hast immer mal wieder davon
geredet, nach Norwegen, in die Heimat deiner Ahnen auszuwandern. Was machen
diese Pläne derzeit?
Egon: Die Inbrunst dieses Wunsches
steht im umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Wertschätzung, die meinem
Wirken hier zuteil wird. In letzter Zeit fühle ich mich stärker anerkannt. Der
Wunsch nach Heimkehr sitzt nach wie vor tief, aber ich bin mir heute im Klaren
darüber, dass eingehende Vorbereitungen erforderlich sein werden. Früher neigte
ich zu überstürzten Handlungen. Ich glaubte damals, die Vokabel für
„Hühnerleber“ sowie ein paar gängige Wendungen zur Formulierung meiner Wünsche
reichten aus. Das war naiv von mir.
Ich habe
mich jetzt erst einmal für den Grundkurs Norwegisch „Morn“ an der hiesigen
Volkshochschule angemeldet. Es ist eine hochentwickelte Sprache. Wenn man nur
bedenkt, dass im Norwegischen beispielsweise die Drucksilbe tiefer gesprochen
wird als die anderen Silben – im Deutschen ist das entgegengesetzt! – und dass
der Satzakzent von Anfang an genau beachtet werden muss! Sonst erhält man
womöglich statt Hühnerleber etwas anderes oder überhaupt nichts.
Ich bin aber
zuversichtlich, dass meine verschütteten Sprachkenntnisse im Verlauf des Kurses
rasch wieder aktiviert werden.
Auch die
besonderen Verkehrszeichen präge ich mir noch ein. Es wäre unangenehm, mit
seinem Schlafbeutel an einer vielbefahrenen Skiloipe zu hängen.
Zudem ist
die Frage der Reisekosten noch nicht endgültig geklärt. Möglicherweise müssten
die Gelder von meinem Frauchen zunächst verauslagt und die Rückerstattung durch
die norwegischen Behörden an mich nachfolgend beantragt werden.
… Auch
gewisse moralische Bedenken haben mich meinen Wunsch nach Auswanderung bislang
zurückstellen lassen. Ich hätte den Mut; würde ich mich aber je des Gefühls
erwehren können, Max gegenüber, der sich an mir orientiert und zu mir
aufschaut, versagt zu haben? Wohl kaum.
Sally:
Du bist so unglaublich weise und
gebildet und so kreativ, wie die EGONALIA 2012 und deine diversen Kunstwerke in
der Wohnung deiner Menschin zeigen. Liegt das in der Natur der norwegischen
Waldkatzen generell oder hast du da einen besonderen, persönlichen Hintergrund?
Egon: Lassen wir das einen Moment
nachklingen.
(Pause)
-Danke für
diese Adjektive. Ich selbst hätte solche nicht in den Mund zu nehmen gewagt, da
ich dazu neige, mein Licht unter den Scheffel zu stellen. Das ist mir schon gesagt
worden.
Nun, es
liegt, denke ich, größtenteils an Zweiterem. Meine schwierige Vita mit
doppelter Trennungserfahrung – ich bin ja vor 9 Jahren ausgesetzt worden und
muss überdies ohnehin auf tiefer psychischer Ebene mit dem Getrenntsein von der
Urheimat fertigwerden – zwingt mich gewissermaßen zur Verarbeitung. Einschneidend
war nachkommend auch der Verlust der einzigartigen Bindung an die Mutter, indem
sie sich Max zuwandte. Mein Ego wurde plötzlich in Frage gestellt. Solch tiefer
seelischer Schmerz und Verlust der Sicherheit will kompensiert werden, sonst
zerbricht man daran.
Das Trauma
wird hier, wie sich in der Geschichte so oft beobachten lässt, zur Triebfeder
für außerordentliche Leistungen in Kunst und Literatur.
Auch die
Weisheit habe ich mir teuer erkaufen müssen. Aber ich will nicht klagen,
sondern es an dieser Stelle mit einem Zitat des kongenialen Goethe bewenden
lassen:
Alles geben
die Götter, die unendlichen,
ihren
Lieblingen ganz,
alle
Freuden, die unendlichen,
alle
Schmerzen, die unendlichen, ganz.
Sally:
Sag mal, hast du auch schon mal
ans Modeln gedacht, so wie du aussiehst und dich bewegst?
Egon: Es gab Angebote, ja. Mailand,
Düsseldorf. Ich erinnere mich an Tage, wo nahezu pausenlos das Telefon
schrillte. Man kam kaum mehr dazu, sich zu putzen, geschweige zum Hinlegen. Auch
Max hat sehr darunter gelitten.
Ich habe
dann abgelehnt. Es überschnitt sich damals zudem mit meinem
Auswanderungsvorhaben – ich hätte aus dem norwegischen Forst permanent
abkömmlich sein und immerzu aus der Dose leben müssen. Mein Traum von Ruhe und
Ursprünglichkeit wäre dahin gewesen.
Heute gehen
Briefe mit Anfragen ungeöffnet zurück. Ich bevorzuge Gemütlichkeit und Tiefgang.
Ich bin ein Denker und möchte nicht täglich mehrmals baden und gefönt werden
und auf den Laufsteg hinaus. Ich möchte überhaupt nicht baden.
Sally:
und äähh, hm, wie sieht’s denn
aus mit ähh, einer Freundin . . . das ist sicherlich für meine Leserinnen ganz
interessant.
Aber schauen
Sie, ich würde eine Frau doch nur traurig machen. Meine ganzen Verpflichtungen
und all die Begabungen, die nach außen drängen und nach Form schreien – früher
oder später muss sie sich da ja unterlegen fühlen! … Ich meine nicht Sie, aber
jede andere, die nicht Ihr Format hätte! Und dann die geplante Verlegung meiner
Räumlichkeiten nach Skandinavien – Fernbeziehungen sind meines Erachtens
langfristig zum Scheitern verurteilt. Beziehungen überhaupt … dies hat
tiefenpsychologische Ursachen …
(schmatzt hektisch und murmelt etwas von
„Sigmund“ und „Kastrationskomplex“ in seinen Waldkatzenbart)
Sally:
Vielen Dank, lieber Egon, für das
Gespräch. Hast du heute Abend schon etwas vor???
Egon (erschrocken):
Aber Gnädigste!
Grundsätzlich … allerdings … mein Bus kommt!
(verlässt laut schmatzend mit großen
Schritten das Studio)
Dank an die Journalistenkatze Sally, die so feinfühlig mit den großen Egon das Interview geführt hat. Man merkt, dass sie im Journalistenumfeld lebt. Und Dank an Egon, der unsere ungestellten Fragen an ihn so ausführlich beantwortet hat - mir fällt ein Stein vom Herzen, dass seine Auswanderungspläne zurückgestellt wurden!
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