Dienstag, 28. August 2012

Interview mit einem Kater



Katze Sally
im Gespräch mit
Egon dem Kater






Eigentlich war es ja zu erwarten: Beim Interview zwischen Wolfgang Schwerdt (hab ich mir aus welchen Gründen auch immer als meinen Menschen ausgesucht), Anna Janas, die (Plapper-) Tante von Egon, und Egon dem Kater kam ausgerechnet der edle norwegische Waldfeline nur unzureichend zu Wort – Menschen eben! Zum Beweis habe ich hier den Link zumMenscheninterview in der Nordhessenschau beifügen lassen. Allein die Tatsache, dass dort das Bild von Anna an erster Stelle kommt, ist ja wohl bezeichnend genug.
Als gestandene – der Ausgewogenheit verpflichtete – Journalistenkatze habe ich nun beschlossen, selbst ein Interview mit Egon zu führen, um seiner Bedeutung im Publikationsprozess, der dem obengenannten Interview eigentlich zugrunde liegt, gerecht zu werden.

Egon: Bin ich schon auf Sendung? Einszwei. Einszwei. (schmatzt nervös)

Sally: Egon, du hattest aufgrund eines gravierenden Fehlers, den deine Menschin mit der Aufnahme von Max begangen hatte, statt zu Gewalt, zur Feder gegriffen. Was hat dich dazu bewogen?

Egon: Ich brauchte ein Ventil. Selbstverständlich hätte ich auch Max verhauen können. Aber da hätten andere nichts von gehabt. Ich hätte nur das Leid nur weitergegeben und immer wiederholt So habe ich stattdessen meine Affekte veredelt und ein kleines Stück Weltliteratur geschaffen, und man nennt das Sublimierung.

Sally: Du hast dich dann entschieden, deine Gefühle nicht nur deinem Tagebuch anzuvertrauen, sondern auch in Form eines Taschenbuches zu veröffentlichen. Was war der Grund, wer ist die Zielgruppe?

Egon: Es war nun schon einmal niedergeschrieben, und da war der Schritt zum Verlegen nur noch ein kleiner. Es gibt kaum etwas, das mir ferner läge als Egoismus. Warum sollen nicht andere in einer ähnlichen Situation, ob sie sich nun auf Täter- oder Opferseite befinden, von meinen Erfahrungen profitieren?
Das beantwortet zugleich die Frage nach der Zielgruppe. Viel Unglück kann vermieden werden, wenn sich Frauchen/ Herrchen wie auch zur Vermittlung entschlossene junge Katzen im Vorfeld bewusst darüber sind, was sie ggf. im anderen anrichten. Vielleicht kann mein Buch auch anderen Betroffenen Mut machen.
Ich will nicht leugnen, dass ich der Lebensgemeinschaft mit Max mittlerweile auch gute Seiten abgewinne, nicht wenige sogar, aber dennoch bleibt, was damals geschah, ein fundamentaler Einschnitt in meiner Seele, der einfach nicht heilen will.

Sally: Weil das Buch so wichtig ist, für die Menschheit und unsere Mitfelinen, weise ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich darauf hin: Es geht um das inzwischen legendäre „Tagebuch einesfrustrierten Katers“. Warum hast du eigentlich statt deiner Menschin deine Tante Anna gebeten, die Aufzeichnungen in Zweibeinerschrift zu übertragen?

Egon: Mama? Daran habe ich keinen Augenblick lang gedacht. Das wäre ja, wie bei seinem Kidnapper einen Notruf abzusetzen, damit er ihn weiterleitet.
Dazu fällt mir noch eine Zeichnung von Alf Poier ein mit dem Titel: „Ertrinkendes Mädchen rettet sich ins Feuer“ … passt das hier?
Ich brauchte also eine andere Strategie. Weil ich weiß, dass der Mensch, unbescheiden, wie er nun einmal ist, seinen Namen gern auf Buchtiteln sieht, und weil sie meine Lieblingstante ist, ist meine Wahl auf Anna gefallen. Das ist ok, so war der Deal. Meine Geschichte, dein Name. Ich hatte ihr ja auch beim letzten Interview bewusst den Vortritt gelassen. Sie hat es aber verdient. Sie ist in hohem Maße zartfühlend und war auch damals in der Situation, als Max hereinbrach, glaube ich auf meiner Seite.

Sally: Du hast immer mal wieder davon geredet, nach Norwegen, in die Heimat deiner Ahnen auszuwandern. Was machen diese Pläne derzeit?

Egon: Die Inbrunst dieses Wunsches steht im umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Wertschätzung, die meinem Wirken hier zuteil wird. In letzter Zeit fühle ich mich stärker anerkannt. Der Wunsch nach Heimkehr sitzt nach wie vor tief, aber ich bin mir heute im Klaren darüber, dass eingehende Vorbereitungen erforderlich sein werden. Früher neigte ich zu überstürzten Handlungen. Ich glaubte damals, die Vokabel für „Hühnerleber“ sowie ein paar gängige Wendungen zur Formulierung meiner Wünsche reichten aus. Das war naiv von mir.
Ich habe mich jetzt erst einmal für den Grundkurs Norwegisch „Morn“ an der hiesigen Volkshochschule angemeldet. Es ist eine hochentwickelte Sprache. Wenn man nur bedenkt, dass im Norwegischen beispielsweise die Drucksilbe tiefer gesprochen wird als die anderen Silben – im Deutschen ist das entgegengesetzt! – und dass der Satzakzent von Anfang an genau beachtet werden muss! Sonst erhält man womöglich statt Hühnerleber etwas anderes oder überhaupt nichts.
Ich bin aber zuversichtlich, dass meine verschütteten Sprachkenntnisse im Verlauf des Kurses rasch wieder aktiviert werden.
Auch die besonderen Verkehrszeichen präge ich mir noch ein. Es wäre unangenehm, mit seinem Schlafbeutel an einer vielbefahrenen Skiloipe zu hängen.
Zudem ist die Frage der Reisekosten noch nicht endgültig geklärt. Möglicherweise müssten die Gelder von meinem Frauchen zunächst verauslagt und die Rückerstattung durch die norwegischen Behörden an mich nachfolgend beantragt werden.
… Auch gewisse moralische Bedenken haben mich meinen Wunsch nach Auswanderung bislang zurückstellen lassen. Ich hätte den Mut; würde ich mich aber je des Gefühls erwehren können, Max gegenüber, der sich an mir orientiert und zu mir aufschaut, versagt zu haben? Wohl kaum.

Sally: Du bist so unglaublich weise und gebildet und so kreativ, wie die EGONALIA 2012 und deine diversen Kunstwerke in der Wohnung deiner Menschin zeigen. Liegt das in der Natur der norwegischen Waldkatzen generell oder hast du da einen besonderen, persönlichen Hintergrund?

Egon: Lassen wir das einen Moment nachklingen.

(Pause)

-Danke für diese Adjektive. Ich selbst hätte solche nicht in den Mund zu nehmen gewagt, da ich dazu neige, mein Licht unter den Scheffel zu stellen. Das ist mir schon gesagt worden.
Nun, es liegt, denke ich, größtenteils an Zweiterem. Meine schwierige Vita mit doppelter Trennungserfahrung – ich bin ja vor 9 Jahren ausgesetzt worden und muss überdies ohnehin auf tiefer psychischer Ebene mit dem Getrenntsein von der Urheimat fertigwerden – zwingt mich gewissermaßen zur Verarbeitung. Einschneidend war nachkommend auch der Verlust der einzigartigen Bindung an die Mutter, indem sie sich Max zuwandte. Mein Ego wurde plötzlich in Frage gestellt. Solch tiefer seelischer Schmerz und Verlust der Sicherheit will kompensiert werden, sonst zerbricht man daran.
Das Trauma wird hier, wie sich in der Geschichte so oft beobachten lässt, zur Triebfeder für außerordentliche Leistungen in Kunst und Literatur.
Auch die Weisheit habe ich mir teuer erkaufen müssen. Aber ich will nicht klagen, sondern es an dieser Stelle mit einem Zitat des kongenialen Goethe bewenden lassen:

Alles geben die Götter, die unendlichen,
ihren Lieblingen ganz,
alle Freuden, die unendlichen,
alle Schmerzen, die unendlichen, ganz.

Sally: Sag mal, hast du auch schon mal ans Modeln gedacht, so wie du aussiehst und dich bewegst?

Egon: Es gab Angebote, ja. Mailand, Düsseldorf. Ich erinnere mich an Tage, wo nahezu pausenlos das Telefon schrillte. Man kam kaum mehr dazu, sich zu putzen, geschweige zum Hinlegen. Auch Max hat sehr darunter gelitten.
Ich habe dann abgelehnt. Es überschnitt sich damals zudem mit meinem Auswanderungsvorhaben – ich hätte aus dem norwegischen Forst permanent abkömmlich sein und immerzu aus der Dose leben müssen. Mein Traum von Ruhe und Ursprünglichkeit wäre dahin gewesen.
Heute gehen Briefe mit Anfragen ungeöffnet zurück. Ich bevorzuge Gemütlichkeit und Tiefgang. Ich bin ein Denker und möchte nicht täglich mehrmals baden und gefönt werden und auf den Laufsteg hinaus. Ich möchte überhaupt nicht baden.

Sally: und äähh, hm, wie sieht’s denn aus mit ähh, einer Freundin . . . das ist sicherlich für meine Leserinnen ganz interessant.

Egon: - Mit dieser Frage habe ich gerechnet.
Aber schauen Sie, ich würde eine Frau doch nur traurig machen. Meine ganzen Verpflichtungen und all die Begabungen, die nach außen drängen und nach Form schreien – früher oder später muss sie sich da ja unterlegen fühlen! … Ich meine nicht Sie, aber jede andere, die nicht Ihr Format hätte! Und dann die geplante Verlegung meiner Räumlichkeiten nach Skandinavien – Fernbeziehungen sind meines Erachtens langfristig zum Scheitern verurteilt. Beziehungen überhaupt … dies hat tiefenpsychologische Ursachen …
(schmatzt hektisch und murmelt etwas von „Sigmund“ und „Kastrationskomplex“ in seinen Waldkatzenbart)


 

Sally: Vielen Dank, lieber Egon, für das Gespräch. Hast du heute Abend schon etwas vor???


Egon (erschrocken):
Aber Gnädigste!

Grundsätzlich … allerdings … mein Bus kommt!
(verlässt laut schmatzend mit großen Schritten das Studio)

1 Kommentar:

  1. Dank an die Journalistenkatze Sally, die so feinfühlig mit den großen Egon das Interview geführt hat. Man merkt, dass sie im Journalistenumfeld lebt. Und Dank an Egon, der unsere ungestellten Fragen an ihn so ausführlich beantwortet hat - mir fällt ein Stein vom Herzen, dass seine Auswanderungspläne zurückgestellt wurden!

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