Montag, 28. Oktober 2024

Ameisen

Die geheimen Herrscherinnen der Welt

Die meisten Menschen unserer Breiten dürften Ameisen eher als Ungeziefer, als Störenfriede in Haus und Garten, denn als unglaublich faszinierende und ökologisch ungemein wichtige Spezies wahrnehmen. Und so dürfte die Tatsache, dass es weltweit rund 15.000 bekannte und vermutlich noch einmal so viel unbekannte Ameisenarten gibt, ebenso wenig bekannt sein, wie beispielsweise die Existenz fauler oder tauchender Ameisen. Die Evolutionsökologin und Ameisenforscherin Magdalena Sorger ist seit vielen Jahren ganz in die fantastische Welt der so unglaublich vielseitigen Insekten eingetaucht und versucht mit ihrem Buch auch bei den LeserInnen die Leidenschaft für die wuseligen und global allgegenwärtigen Sechsbeiner zu wecken.

Giganten der Anpassung

Natürlich lässt sich die Faszination der Ameisen durch zahlreiche Superlative herausstellen, aber die eindrucksvollen Zahlen oder Eigenschaften, mit denen einzelne Ameisenkolonien oder Ameisenarten aufwarten können, sind gewissermaßen nur die Spitze des Ameisenhügels. Dessen Architektur kann im Einzelfall nicht nur bis in mehr als acht Meter Tiefe reichen, sie können auch Superkolonien entwickeln, die sich über tausende von Kilometern erstrecken. Und ihre körperliche und soziale Anpassungsfähigkeit ist enorm. Und so treffen die Leser auf Ameisenvölker, die in Überschwemmungsgebieten Flöße bilden, zur Nahrungsbeschaffung in die Verdauungssäfte von fleischfressenden Pflanzen hinabtauchen, „Ackerbau und Viehzucht“ betreiben, andere Ameisen als Sklaven halten und vieles mehr.

Machen, was man am besten kann

Doch Ameisen bilden nicht nur Staaten oder architektonische Meisterleistungen. Entgegen der landläufigen Auffassung handelt es sich bei den einzelnen Mitgliedern der arbeitsteiligen Ameisengesellschaften nicht etwa um willenlose, gewissermaßen biologisch programmierte Roboter, sondern, wie die Autorin an spannenden Beispielen hervorhebt, um autonome entscheidungsfähige Individuen. Und so finden sich in den geschäftigen Ameisenvölkern auch Mitglieder, die sich dazu entschieden haben, zeitweilig aus dem „Arbeitsleben“ auszuscheiden. Insofern funktionieren die Ameisengesellschaften ein wenig anders als die der Menschen. Denn auch die „Arbeitsverweigerer“ werden ohne jede Sanktion oder gar Repression durch die Gesellschaft versorgt und vor allem: Jedes Individuum macht das, was es am besten kann und nicht das, wozu es im Sinne eines „Arbeitsmarktes“ im Dienste weniger Profiteure verpflichtet wird.

Zu intelligent zum kollektiven Selbstmord

Und so ein altruistisches Gesellschaftsmodell funktioniert offensichtlich hervorragend. Immerhin haben die Ameisen rund 130 Millionen Jahre Evolution hinter sich und sie werden ganz sicher auch das selbstverschuldete Verschwinden der Menschheit überleben. Obwohl Ameisen teils recht intensiv die natürlichen Ressourcen nutzen, untereinander sogar Kriege führen, einen Hang zum Wachstum haben, wie an den Superkolonien erkennbar, und sich inzwischen nahezu alle Lebensräume der Erde angeeignet haben, für die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage scheinen sie dann doch zu intelligent zu sein.

Im Dienste des Marktes

Können wir Menschen also von Ameisen lernen? Die Autorin meint ja. Sie hat sich inzwischen von der Feldforscherin zur Vermittlerin ihres Ameisenwissens an unterschiedliche Zielgruppen entwickelt und längst interessieren sich (wie könnte es anders sein) ganze Wirtschafts- und Industriezweige für die altruistischen Staatsbürger. Denn, so Magdalena Sorger: „Zum Beispiel liefern Ameisen angewandtes Wissen für die Logistik, Chemie, Robotik, Materialwissenschaft und ganz besonders für die Medizin.“

Magdalena Sorger: Ameisen. Die geheimen Herrscherinnen der Welt. Brandstätter 2024. Gebunden mit Schutzumschlag, 176 Seiten.

 

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