Sonntag, 8. September 2024

Von Fliegenfängern und Katzenklappen

39 Kleinigkeiten zwischen den Arten

Dass die Welt aus mehr besteht, als aus Lebewesen und Materialien, die den Interessen und der Bedürfnisbefriedigung des Menschen dient, hat sich bei vielen schon herumgesprochen. Dennoch spielt sich unser Denken meist immer noch in den alten anthropozentrischen Bahnen alttestamentarischer Prägung ab. Mit dem relativ neuen Ansatz „mehr-als-menschlich“ wird den Forschungsfeldern animal-studies oder human-animal-studies seit etwa 20 Jahren ein weiteres hinzugefügt und mit 39 Beispielen im Buch Von Fliegenfängern und Katzenklappen präsentiert. Dabei geht es insbesondere um die Abkehr vom anthropozentrischen Weltbild und ein radikaleres Verständnis vom Stellenwert des Menschen in der belebten und unbelebten Natur.Die Multispezies-Sicht

Das „neue“ Forschungsfeld ist zweifellos komplex und so präsentieren die AutorInnen verschiedener fachlicher Disziplinen die unterschiedlichen Aspekte gewissermaßen anekdotisch in Form humoriger oder nachdenklich machender Aufsätze aus dem mehr oder weniger alltäglichen Leben. Bei den Kleinigkeiten, die im Titel angesprochen werden, handelt es sich nicht nur um menschengemachte Artefakte wie etwa die Hundeleine, der Fliegenfänger, die eine Beziehung zu anderen Spezies ermöglichen oder erzwingen, auch „Kleinigkeiten“ der belebten Umwelt wie Moos, Spinnenfäden oder Taubendreck liefern den AutorInnen Gelegenheit, die anthropozentrische Perspektive zu hinterfragen, in Frage zu stellen und durch eine Multispezies-Sicht zu ersetzen.

Der Mensch als Siedlungsraum

Bei der Lektüre des Buches wächst die Erkenntnis, dass der Mensch alles andere als Herr oder gar Mittelpunkt seiner Umwelt ist. Andere Spezies, oft sehr unscheinbare, bestimmen in wesentlich stärkerem Maße über das menschliche Leben als der Homo sapiens selbst. Man denke nur an die unzähligen Mikroben, die die vermeintliche Überlegenheit der menschlichen Spezies nicht nur als Krankheitserreger in Frage stellen. Ohne die unermüdliche Arbeit unzähliger „freundlich gesinnter“ Darmbakterien beispielsweise gäbe es den Menschen gar nicht. Apropos „freundlich gesinnt“: Allein das Zusammenleben mit Haustieren zeigt, dass der Mensch nicht zwingend das Heft der Beziehung in der Hand hat, weder im übertragenen Sinne noch, wie das Beispiel der Hundeleine zeigt, unter ganz praktischen Gesichtspunkten. Das Geheimnis der realen Position des Menschen in der Multispezies-Welt besteht in der Tatsache, dass auch die anderen Tierarten Akteure sind, die das Verhalten, die Sichtweise und letztendlich auch das Schicksal des Homo maßgeblich beeinflussen.

Verdrängungswettbewerb

Diese Vernetzung und gegenseitige Bedingung unterschiedlicher, im Grunde aber hinsichtlich der belebten Natur gleichwertiger tierlicher Kulturen und Akteure ist eine Realität, die der menschlichen Hybris diametral entgegensteht und so gerne verdrängt wird. Nicht zufällig beginnt das Buch mit der Betrachtung dessen, was sich hinter dem Begriff „Affenliebe“ verbirgt und einer Auseinandersetzung mit der allseits bekannten „Bärchenwurst“, die kein Gramm Bärenfleisch enthält und mit ihrem freundlichen Gesicht das massenhafte Tierleid in der „Fleischproduktion“ verschleiern hilft. Und so entpuppen sich die Aufsätze auch als Beispiele für moralisch recht fragwürdige Verhaltensweisen, die uns im Grunde bekannt sind, die zu verdrängen wir aber aus persönlichen, ökonomischen und kulturellen Gründen keinen Aufwand zu scheuen scheinen.

Über das Eigenleben anderer Arten

Natürlich sind sich die AutorInnen darüber im Klaren, dass das Einnehmen von Perspektiven anderer tierlicher Kulturen naturgemäß an seine menschlichen Grenzen stößt. Doch die Aufsätze zeigen, dass ein Perspektivwechsel durchaus möglich ist, vorausgesetzt, man lässt sich auf die Betrachtung der Welt als „mehr-als-menschlich“ ein, dezentriert menschliche Sichtweisen und öffnet sich, wie es im Klappentext formuliert wird, für das Eigenleben anderer Arten. Dabei, so zeigen die Aufsätze der Forschenden aus Geistes-, Sozial und Naturwissenschaften, sind Überraschungen und Einsichten, Fragen und sicher auch Widersprüche garantiert. Kleinigkeiten, bei deren Betrachtung die Ergebnisse am Ende keine Kleinigkeiten mehr sind, sondern grundsätzliche Fragen zu unserem gesellschaftlichen, aber auch individuellen Verhältnis zur Natur und all ihren Akteuren aufwerfen.

Roland Borgards, Frederike Felcht u.a. (Hrsg.): Von Fliegenfängern und Katzenklappen. 39 Kleinigkeiten zwischen den Arten. Wallstein 2024. Gebunden mit Schutzumschlag, 370 Seiten.

 

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