Ich habe gerade auf "Animal Planet" eine Rassekatzenvorstellung gesehen, also die Beschreibung besonders ausgefallener Hauskatzenzüchtungen (amerikanischer Beitrag). Statt einer ermüdenden und unergiebigen Diskussion um das Thema Haustierzucht hier mal der Anfang einer sehr persönlich geprägten Kurzgeschichte, die ich vor vielen Jahren geschrieben und 2012 in meinem Katzengeschichten-Büchlein "Mit Katzenaugen" publiziert habe.
Brobble
Auf den ersten Blick sah sie aus, wie eine Katze. Genauer gesagt, wie eine stinknormale, rotgetigerte Hauskatze. Aber Brobble war etwas Besonderes. Sah man nämlich genauer hin, konnte man den großen Nagezahn erkennen, den Brobble gelegentlich entbIößte, wenn die Langeweile in ihrem kleinen Käfig sie wieder einmal gähnen ließ. Dann konnte man auch sehen, dass Brobble sonst keine Zähne hatte. Auch die Pfoten hätten eher von einem Hund stammen können und die Ohren, ja die Ohren waren durchaus ein wenig zu groß geraten. Nur ein wenig, so dass es anfangs gar nicht auffiel. Früher, als auch die anderen Käfige des kalten, gekachelten Labors noch gefüllt waren, da hatte Brobble sich oft mit ihren Leidensgenossen unterhalten. Da saßen Karnickel, Katzenfutter fressend - denn sie hatten das Gebiss mitbekommen, das eigentlich Brobble haben müsste. Da drängten sich Hunde, Meerschweinchen und Nasenbären hinter den trennenden Gittern, alle auf den zweiten Blick irgendwie anders, als normale Hunde, Meerschweinchen oder Nasenbären.
Natürlich hatte man sich lebhaft unterhalten, denn das war das einzige, was in der traurigen, endlosen Zeit gemeinsam möglich war. Selbstverständlich verstand man sich untereinander, denn irgendwie waren alle miteinander verwandt, Sprachbarrieren gab es nicht. Dem außenstehenden Betrachter wäre es sicherlich merkwürdig vorgekommen, einen Hund miauen, eine Katze quieken, ein Meerschweinchen bellen zu hören. Die Leute vom Labor fanden das ganz normal. Schließlich hatten sie jahrelang experimentiert, die verschiedenen Haustiere gentechnisch miteinander gekreuzt, um letztendlich das ideale Haustier zu schaffen. Das Haustier, das alle Eigenschaften besitzt, die die Menschen an den verschiedenen Vierbeinern so schätzen.
Irgendwie war das auch gelungen. Trotzdem war das Ergebnis enttäuschend. Zwar konnten die verschiedenen Tiere beliebig untereinander gekreuzt werden, die neu geschaffenen Haustiere aber glichen sich nie. Sie hatten weiterhin unterschiedliche Charaktereigenschaften, sahen verschieden aus und wenn es einmal gelungen war, ein Wesen zu kreieren, das mehr oder weniger allen Ansprüchen gerecht wurde, dann ließ es sich einfach nicht vermehren. Genau dies war aber das größte Problem. So hatte man zwar das Forschungsziel erreicht, die Lebenserwartung der neuen Haustiere auf rund zwei Jahre zu reduzieren, was natürlich gut für den Absatz und damit das Geschäft gewesen wäre. Wenn man es andererseits aber nicht schaffte, für ausreichend Nachschub, also für eine rege Vermehrung der Designerpets zu sorgen, dann machte das ganze natürlich keinen Sinn. Viele hochbezahlte Wissenschaftler waren mit diesem Projekt beschäftigt, das Laborgebäude war eigens für diese Versuche neu gebaut worden, Tierpfleger mussten bezahlt werden, und egal, was man auch versuchte, die Tiere hatten immer Hunger. Es war einfach nicht zu schaffen, ein Tier zu züchten, das absolut pflegeleicht war und damit auch nicht gefüttert werden musste -nicht einmal im Urlaub der Besitzer. Kurzum, die erwarteten Erfolge blieben aus, die Kosten stiegen und das ganze Projekt wurde mangels Profitaussichten einfach eingestellt. Es war eine einfache wirtschaftliche Kalkulation. Statt noch jahrelang weiter teure Wissenschaftler zu bezahlen und eine entsprechende Technologie zu unterhalten, legte man den Laborbetrieb einfach still, beschäftigte noch ein paar Pfleger und wartete einfach die etwa zwei Jahre ab, bis das letzte der Retortenhaustiere gestorben war. Zum Einschläfern konnte man sich aus humanitären Gründen und natürlich mit Blick auf die image- und damit geschäftsschädigenden Proteste der Tierschützer— nicht entschließen.
lm großen und ganzen war die Rechnung auch aufgegangen. Innerhalb der folgenden zwei Jahre verstarb eines der Tiere nach dem anderen, die Zahl der Pfleger und natürlich auch die Futterkosten konnten nach und nach reduziert werden. Und nun wartete man darauf, dass, auch Brobble, die Katzenartige, das Zeitliche segnete, um das Projekt ganz einstellen zu können. Brobble hatte die anderen Tiere bereits um ein ganzes Jahr überlebt. Untersuchungen hatten zudem ergeben, dass Brobble wahrscheinlich eine ungewöhnlich lange Lebenserwartung haben würde, etwa dreißig Jahre. Brobble war also ein wissenschaftliches und wirtschaftliches Desaster. Man hatte schon darüber nachgedacht, ob man nicht wenigstens Brobble einfach einschläfern sollte. Aber irgendwie war immer etwas dazwischen gekommen und schließlich geriet Brobble, das Projekt, ja das ganze Labor in Vergessenheit. Natürlich, in einem Unternehmen gerät nichts wirklich in Ver-gessenheit. Und so wurden das Labor und das Gelände in den Büchern weitergeführt, als Zahl auf der Habenseite in der Bilanz, als Betriebsvermögen. Aber selbstverständlich stand in der Bilanz nichts über Brobble und zwar einfach deshalb nicht, weil das Projekt tatsächlich eingestellt, sämtliches Personal entlassen oder über Sozialplane umgesetzt worden war und somit keine Betriebskosten mehr entstanden. Das Labor - weitab von der Stadt - war als Immobilie einfach zum Spekulationsobjekt geworden. Für die Firmenleitung hatte sich das Problem Brobble durch Vergessen von selbst erledigt.
Brobble stellte die etwas zu langen Ohren auf, entblößte den kräftigen Nagezahn, wedelte mit dem Schwanz, kratzte mit den Hundepfoten am Gitter und quiekte erfreut wie ein Meerschweinchen. Das war sie dem alten Mann schuldig, der nun durch die schwere stählerne Labortür trat. Eigentlich war das eher Routine, denn der alte, weißhaarige Mann besuchte Brobble fast täglich - der einzige Kontakt Brobbles zu irgendeinem anderen Lebewesen, wenn man die herumstreifenden Ratten, Mäuse und Kakerlaken einmal ausnahm. Und für diesen Besuch war Brobble natürlich dankbar. Nicht, dass sich Brobble nach nunmehr über einem Jahr grenzenlos einsamer Gefangenschaft noch wirklich freuen konnte, aber der alte Mann hatte diesen Liebesbeweis verdient. Ohne ihn und das fast tägliche Futter hätte Brobble nicht überlebt.
"Na, Brobble, freust du dich?" Auch dieser Satz, war Routine, denn was hatte der alte Mann nach dieser langen Zeit schon neues zu erzählen. Brobble antwortete mit dem übli-chen Brabbeln, wurde aber gleich aufmerksamer. Denn irgendetwas schwang in der Stimme des Alten mit, das nichts Gutes verhieß.
Die ganze Geschichte und mehr gibts hier im Buch "Mit Katzenaugen"
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