ein
Katzenkrimi von Tessa Korber
Ein junges
Mädchens, dessen Leiche auf dem Friedhof von Montmartre gefunden wird und eine verschwundene
Katze sind Auslöser für die Ermittlungsarbeit des undurchschaubaren Kommissar Bonenfant
und der Katzen von Montmartre. Sowohl die Interessen der zwei- und vierbeinigen
Protagonisten als auch ihre Fähigkeiten und Methoden unterscheiden sich dabei
enorm. Dennoch ergeben sich im Laufe der Ereignisse, die oft kaum etwas mit dem
Mord und dem Verschwinden zu tun haben, erstaunliche Mensch-Tier-Symbiosen,
deren Ergebnisse die Ermittler der unterschiedlichen Arten auf getrennten Wegen
zur Lösung der beiden Fälle führen.
An diesem
Buch ist vieles anders, als man es erwartet. Es beginnt mit dem Friedhofskater
Bonnard, der den Leser mit philosophierendem Katzengeplauder in die Welt seines
Reviers, des Friedhofs des Montmartre, und seine Besucher einführt. Bonnard ist
für die Menschen da, die Hinterbliebenen, Trauernden, Besucher. Und er hat für
alle ein offenes Ohr, oder besser offene Sinne, die nicht nur die Worte der
Menschen aufnehmen, die sich zu ihm auf seine Bank setzen und sich ihm
unwillkürlich mitteilen. Es ist meisterhaft, wie es Tessa Korber gelingt, mit
dieser Einführung die ursprünglichen Erwartungen im Kopf des Lesers an die
Lektüre zunächst auszulöschen, um ihn gleichzeitig mit der Atmosphäre, den
Gefühlen, dem Wesen und dem Charakter des Schauplatzes und seiner Protagonisten
zu füllen. Der Mord an dem jungen Mädchen gerät schnell in den Hintergrund, ist
auch für den Leser zunächst nicht von allzu großer Bedeutung. Dafür sorgt aber
das Verschwinden der Katzendame Grisette für eine unterschwellige Spannung, die
die Autorin trotz der verschiedenen, scheinbar unzusammenhängenden
Handlungsstränge gekonnt aufrecht zu erhalten versteht.
Von Katzen, Menschen und ihren Geheimnissen
Dass Katzen
geheimnisvoll sind, versteht sich von selbst. Aber Korbers Katzen von Montmartre
sind es auf eine natürliche Art. Das Geheimnisvolle ergibt sich aus deren gelegentlich
unbekannter Herkunft und vor allem ihren kognitiven Fähigkeiten, die sie problemlos
verstehen, erspüren lassen, was Mensch gerade sagt. Und irgendwie fühlen sich
die meisten der felinen Protagonisten trotz ihrer Selbständigkeit zu bestimmten
Menschen hingezogen. Matisse beispielsweise zu Monsieur Martis, den Inhaber des
Andenkenladens und den Gauklern und Bettlern um Sacré-Coer. Grisette zur
ehemaligen Prostituierten und nun Inhaberin des Zeitungskiosks, Madame
Chauchaut. Suzanne, Mutter unzähliger Würfe hat sich bei der Bäckerin Madame
Valladon häuslich eingerichtet. Und dann sind da noch die beiden rüpelhaften
Katerchen, der letzte Wurf Suzannes, die im Bistro des Monsieur Moulin zu Hause
sind und es selbst dem ehrfurchteinflößenden rabenschwarzen Straßenkater mit
unergründlicher Vergangenheit gegenüber am angemessenen Respekt mangeln lassen.
Über die fein, humorvoll und einfühlsam entwickelten Katzencharaktere
erschließen sich auch die Persönlichkeiten der menschlichen Protagonisten,
allesamt ebenfalls mit Geheimnissen, Lasten und Schicksalsschlägen behaftet.
Seelische Abgründe, schwere Schicksale und
das ganz normale Leben
Der Leser
kann sich in den Geschichten und Geschichtchen verlieren, bis das äußerlich
beschaulich erscheinende Leben der Protagonisten Fahrt aufnimmt. Und auch bei
den Ereignissen, die sich gegen Ende zu überschlagen scheinen, wird der Leser
mitgerissen. Da tun sich menschliche Abgründe auf, Geheimnisse werden gelüftet,
neue kommen hinzu. Und es ist sicher kein Spoiler, wenn ich verrate, dass beide
Fälle, sowohl der Mord an dem Mädchen als auch das Verschwinden der unglücklichen
Grisette am Ende gelöst werden. Happy end? Ja und nein, aber die Auflösung
stellt den Leser durchaus zufrieden, auch wenn die Tatsache, dass er seinen
Ausflug in die Welt der Katzen und Menschen von Montmartre nun beenden muss,
eine gewisse Wehmut hinterlässt.
Die Katzen
von Montmartre ist tatsächlich ein außergewöhnliches Buch, das ich guten Gewissens
zum Geheimtipp erklären kann. Weitab von jeder Romantisierung des historischen
Pariser Stadtteils und seiner Menschen und ohne, ja wirklich ohne die üblichen ausführlichen
Beschreibungen blutrünstiger Gewaltorgien, oder von Krankheit und Psychosen
gezeichneter Darsteller, die der Phantasie so enge Grenzen setzen, wirken die
von Tessa Korber aufgegriffenen teils furchtbaren Schicksale noch lange nach
dem Zuklappen des Buches nach. Mein Bedürfnis, die liebenswerten, weil
authentisch dargestellten Katzentiere, aber auch die menschlichen Protagonisten
in einem weiteren Buch wiederzutreffen, ist groß. Es muss nicht einmal ein
Krimi sein.
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