Und dann hat mir meine kleine Schwarzmaus ihr Gespräch mit dem berühmten historischen Schiffskater, der 1804 auf der Isle de France (Mauritius im Indischen Ozean) spurlos verschwunden war, gewissermaßen in die Träumtasten geschnurrt.
Sally: Trim, du warst wahrscheinlich der erste
Schiffskater in der Geschichte, dessen Leben Eingang in die Literatur gefunden
hat. Immerhin hat dich dein Mensch, der Forschungsreisende Matthew Flinders, im
Dezember 1809 in seinen Notizen mit vielen Seiten bedacht und dir sogar einen
Grabstein mit langer Inschrift spendiert. Das muss wohl ein ganz besonderer
Mensch gewesen sein.
Trim: Nun ja, tatsächlich, die
Zweibeiner pflegten zu jener Zeit nicht über ihre Gefühle in der Öffentlichkeit
zu schwadronieren. Erst recht nicht über Schiffskatzen, deren Dasein und
unermüdliches Arbeiten im Dienste des Wohlergehens und der Sicherheit der zweibeinigen
Seeleute ja üblicherweise als selbstverständlich und in Reiseberichten und
Logbüchern als nicht erwähnenswert erachtet wurde. Aber vielleicht ist die
Aufmerksamkeit, die mir zuteilwurde ja auch meinen besonderen Fähigkeiten und
Leistungen zu verdanken, die dir gegenüber zu erläutern ich mich in aller
Bescheidenheit gern bereit erkläre, werte Sally.
Sally: Oh, danke Trim. Ich gehe mal davon aus,
dass es nicht deine Mäuse- und Rattenjagdfähigkeiten waren, die zu den
Zweibeinerberichten geführt hatten. Schließlich gehört das ja nun wirklich zu
den Basisqualifikationen unsereins.
Trim: Bei allem Respekt und ohne das
über Gebühr hervorheben zu wollen, aber ich gestatte mir anlässlich deiner
Feststellung ganz ohne jeden Dünkel denn doch darauf hinzuweisen, dass ich mich
unter den Schiffsfelinen als einer der besten, wenn nicht sogar der beste
Nagerkontrolleur aller Zeiten wähnen durfte. Aber das war es wahrlich nicht,
was zu meinem nicht unverdienten Ruhm auch unter den Zweibeinern führte. Im
Gegenteil, mein selbstloser Jagdeifer wäre mir sogar beinahe zum Verhängnis
geworden. Der Steward . . .
Sally: Das geht aber so aus den Aufzeichnungen
deines Zweibeiners nicht hervor. Ich erinnere mich etwas von einem
gemeinschaftlichen Raub eines Hammelbeines aus der Speisekammer des
Kapitänsstewards gelesen zu haben. Dein Komplize konnte entkommen und du hast
eine gehörige Tracht Prügel einstecken müssen.
Trim: Ein bedauerliches Missverständnis
allemal, das ich mir erlaube im Rahmen unseres Gespräches für die Federn der
gewogenen Historiker im Interesse der Geschichtswissenschaften zu korrigieren. Die
Vorratskammern der Achterdecksgäste mit den erlesenen Speisen, die bei
entsprechender Verunreinigung mit Nagerexkrementen schnell zu verderben und die
Herrschaften in arge gesundheitliche Bedrängnis zu bringen drohten, waren mein
besonderes Arbeitsgebiet. Hier konnte ich meine speziellen Fähigkeiten des
Jagens auf engstem Raum voll zur Geltung bringen. Man stelle sich das elende
Schicksal von Schiff und der Mannschaft vor, wäre sie ihrer Führungselite
beraubt worden! Das besagte Hammelbein war so ein verunreinigtes Stück
Frischfutter, das zu ihrem eigenen Schutze dem Zugriff der Zweibeiner dringend
entzogen werden musste. Um dieser Pflicht schnellstens nachzukommen, erheischte
ich die Hilfe unseres kräftigen holländischen Schiffsfelinen Van. Gemeinsam
zogen wir das frische, leckere, saftige . . . äähh . . . schrecklich
verunreinigte Hammelbein zur Entsorgung aus der Speisekammer. Ja, dass der
Kapitänssteward, mit dem ich mich ansonsten sehr gut verstand, einen falschen
Eindruck von unserer selbstlosen Aktion bekommen hatte, führte zu einer sehr
harten Strafe. Aber so ist es nun mal an Bord Ein Steward muss tun, was ein
Steward tun muss und ein Schiffskater eben auch!
Sally:
Man sagt dir nach, du hättest
auch ein besonderes Interesse für die Wissenschaft gehabt. Keine schlechte
Voraussetzung für den Dienst auf einem Forschungsschiff aber für unsre Art ja
schon ein wenig ungewöhnlich.
Trim: Ach ja, meinen wissenschaftlichen
Ambitionen wurde durchaus ein wenig zu viel Wert beigemessen. Das zeigt
allerdings, mit welch bescheidenen Geisteskräften vor allem die gewöhnlichen
Zweibeiner ausgestattet sind. Es ist ja für Kater keine Kunst, den Weg einer
Musketenkugel auf dem schwankenden Deck zu berechnen. Das ist ja eine
Basisübung für jeden Mäusefänger. Oder das Sortieren feiner Leinen, die sich
auf dem Deck schlängeln, wenn der
Matrose das Senkblei schleudert oder die Knoten durch die Hände rauschen lässt.
Damit kann Kater die Männer vor dem Mast schon ausgiebig beeindrucken. Ansonsten
pflegte ich vor allem bei den anspruchsvollen nautischen Beobachtungen der
Achterdecksgäste zu assistieren, beispielsweise war meine ganze Aufmerksamkeit
erforderlich, um den Chronometermann an seine Pflicht zu erinnern, wenn es darum
ging, zwecks Positionsbestimmung die Beobachtung des Sonnenstandes mit der
Zeitmessung in Übereinstimmung zu bringen.
Sally: Nun, das meiste, was du da beschreibst,
nennt man in Katzenkreisen spielen. Aber schön, wenn es denn in den Augen der
Zweibeiner der Wissenschaft gedient hat, wirst du dabei wohl besonders
geschickt gewesen sein.
Trim: Moment, werte Lady Sally, mich
deucht, du bist ein wenig voreingenommen oder nagt gar der Neid an dir? Das mit
meiner wissenschaftlichen Bedeutung habe ich schließlich nicht selbst erdacht, das
würde meiner angeborenen Bescheidenheit zuwider laufen. Aber immerhin wollte
mein Zweibeiner Flinders sogar noch ein weiteres Buch über meine
wissenschaftlichen Forschungen zur Naturgeschichte kleiner Vierbeiner, Vögel
und fliegender Fische herausgeben, ein Fachgebiet, das ich ganz eigenständig zu
bearbeiten pflegte. Leider hat es das Schicksal nicht zugelassen, dass ich Matthew
meine Erkenntnisse für ein entsprechend epochales Standardwerk hätte vermitteln
können.
Sally: Dieses Schicksal heben wir uns für den
Schluss unseres Gespräches auf. Zuvor würde ich noch gerne etwas über deine
Rolle als Ausbilder und Erzieher an Bord erfahren. Da kursieren ja die
wildesten Geschichten.
Trim: Nun ja, ein gewisser Ruf ist
durchaus von Nutzen, wenn sich Kater neben seinen vielfältigen anderen
Pflichten der Erziehung der jungen Herren und dem Vermitteln von Tischmanieren widmet.
Aber besondere Situationen erfordern eben besondere Maßnahmen. Und wenn es den
Herrschaften nicht eingehen mochte, dass mir, als dem schönsten und wichtigsten
Mitglied der Mannschaft von jedem Teller der Messe ein kleiner Bissen zustand,
dann musste ich gelegentlich durchaus mal meine legendäre Ruhe und Geduld die
ich zu Tisch an den Tag zu legen pflegte, beiseiteschieben und die Herren durch
kurzfristigen Nahrungsentzug zur Raison bringen. Da gab es übrigens keinerlei
Ausnahme, jeder der an Bord meines Schiffes zu Gast war, ob Admiral oder
einfacher Seemann, hatte sich diesen Regeln zu unterwerfen. Das ist, da wirst
du mir zustimmen, einfach eine Frage der Etikette, die auch weitab jeglicher
Zivilisation nicht über Bord geworfen werden darf.
Sally: Apropos Zivilisation. 1803 gerieten dein
Kapitän Flinders und du in französische Gefangenschaft auf Mauritius. Kurze
Zeit später bist du verschwunden, selbst Zeitungsanzeigen und eine ausgesetzte
Belohnung waren nutzlos, du bliebst verschwunden. In seinem Bericht schreibt
dein Zweibeiner, dass du wahrscheinlich von „einem hungrigen schwarzen Sklaven
gekocht und gegessen worden“ bist. Kannst du die Nachwelt vielleicht über dein
tatsächliches Schicksal aufklären?
Trim: Hmmm, na gut, also wenn es denn
der katzengeschichtlichen Wissenschaft dienen mag, soll es hier zur Sprache
kommen. Ich möchte allerdings vorausschicken, dass ich das Leid, das ich meinem
geliebten Zweibeiner durch mein Verschwinden zugefügt habe, zutiefst bedauere.
Aber ich habe inzwischen längst mit ihm gesprochen und er hat meine Beweggründe
verstanden. Ich bin nun einmal ein Schiffskater und brauche meine Freiheit. Das
Gefängnis meines Kapitäns konnte ich nicht länger ertragen und auch die
schrecklich aufdringliche Fürsorge des kleinen Mädchens, in dessen Obhut mich
Flinders mit allerbesten Absichten gegeben hatte, bereitete mir doch arge Pein.
Und dann waren da noch die attraktiven Katzendamen, deren Vorfahren sich von
ihrem Dienst an Bord portugiesischer, holländischer und französischer Schiffe
auf der Insel zur Ruhe gesetzt hatten und ein angenehm wildes Leben führten.
Ich will hier nicht als eitel gelten, aber irgendwann kam ich nicht umhin,
ihrem Drängen nachzugeben und ihr ungebundenes Leben zu teilen.
Sally: Vielen Dank, Trim, dass du so offen Auskunft
gegeben hast.
Die ganze Geschichte von Trim findet sich
erstmals in deutscher Übersetzung im Buch Forscher, Katzen und Kanonen. Ein
paar Vorabinformationen zu Trim gibt es hier. Und mehr zum Thema Schiffskatzen
liefert das Buch Die Schwarzbärflotte.
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