Sozialgeschichte
auf leisen Sohlen
Welche Rolle die Katze in der
Kulturgeschichte spielte, welchen Stellenwert die Kulturen den Katzen in ihrer
Gesellschaft einräumten, ist Gegenstand dieses Buches. Wissenschaftler unterschiedlicher
Disziplinen befassen sich in ihren Aufsätzen mit dem Mensch-Katze-Verhältnis,
von den Ägyptern bis Heute und präsentieren dabei oft überraschende
Perspektiven.
Beim Thema
des ersten Aufsatzes „Die Katze im alten Ägypten“, denkt der vorbelastete Leser
natürlich zunächst an mystische Kulte, die die Katze - als Verkörperung der
Göttin Bastet - Gegenstand religiöser Verehrung sein und einen Sonderstatus in
der ägyptischen Gesellschaft einnehmen lässt. Ursprung der Verehrung, das weiß
der Katzenliebhaber, ist der Schutz des den Ägyptern so wichtigen Korns vor
Ratten und Mäusen durch die geschmeidigen Jäger. Und eigentlich erwartet der
historisch gebildete Katzenfreund kaum etwas Neues. Prof. Dr. Wolfgang
Schuller, 1976 – 2004 Ordinarius für Alte Geschichte an der Universität
Konstanz, befasst sich natürlich auch mit diesen Aspekten und zitiert dabei
zeitgenössische Quellen. Allerdings zeigt bereits die Tatsache, dass er diese
Schilderungen mit den entsprechenden kulturgeschichtlichen Hintergrundinformationen
auf ihren Realitätsgehalt überprüft, dass der Leser doch mehr und andere als
die üblichen Informationen, die in zahllosen Katzenbüchern und Internetseiten
endlos wiedergekäut werden, erwarten darf. Allein die Bezeichnung für Katze in
Ägypten deutet darauf hin, dass neben der religiösen auch eine recht starke
profane, private Beziehung zur Samtpfote, der „Miau“ - so wird das Schriftzeichen für Katze
ausgesprochen – existierte.
Katzen spielten in der mittelalterlichen
Heilkunde recht gegensätzliche Rollen
Nicht alle
Aufsätze können einen so umfassenden Bezug zwischen Katzen und der gewählten
kulturgeschichtlichen Epoche oder Region herstellen. Aber auch bei den
keltischen Katzen, denen sich der Professor für walisische und englische
Geschichte, Michael Richter widmet, erwarten den Leser spannende
kulturgeschichtliche Informationen. Und er erfährt, dass sich die Katzen zwar
auch in die keltische Gesellschaft – und hier nicht zuletzt in die Herzen der
irischen Mönche - eingeschlichen haben,
von einer göttlichen Verehrung aber keine Rede sein kann.
Mit der
„Katze im Kochtopf“ ist der Leser nun im Mittelalter angelangt. Auch hier
vermutet man zunächst Bekanntes. Tatsächlich aber gelingt es auch der
Historikerin Sabine von Heusiger mit dem Ansatz „Ernährung und Kultur im
Mittelalter“ neue Akzente zu setzen und Überraschendes zu vermitteln. So
mancher Naturheilkundlich angehauchter Katzenliebhaber dürfte hinsichtlich
seiner Verehrung für mittelalterliche Heilkundige an der einen oder anderen
Stelle ins Grübeln geraten.
Hunde und Katzen waren Symbole von
Herrschaft und Revolution
„Die Katze
in der Frühen Neuzeit, Stationen auf dem Weg zur Seelenverwandten des
Menschen“. Mark Hengerer, Historiker und Soziologe unternimmt den schwierigen
Versuch, die Rolle und Definition des Haustieres im Rahmen der komplexen
Prozesse, die die europäische Welt im geografischen und geistigen Aufbruch
kennzeichnen, zu entwickeln. Der Versuch ist gelungen und vielleicht am
Überraschendsten ist die Erkenntnis, dass Vieles von dem, was wir heute über
unsere Stubentiger zu wissen glauben, aus eben den gesellschaftlichen
Konflikten dieser Zeit heraus resultiert. Dazu gehört auch die angeblich
natürliche Gegnerschaft zwischen Hund und Katze.
Die
Gegnerschaft zwischen Mensch und Katze untersucht Jürgen Osterhammel, Professor
für Neuere und Neueste Geschichte. „Menschenfresser und Bettvorleger, der Tiger
in einer kolonialen Welt“ heißt sein Aufsatz, der den Krieg zwischen den
Menschen und den indonesischen Tigern zum faszinierenden Thema hat. Ein
Beitrag, der nicht nur dem Respekt vor den mächtigsten Katzen der Welt neue
Nahrung verleiht, sondern angesichts der aktuellen Bedrohung dieser
faszinierenden Wesen von größter Aktualität ist.
Von der geheimnisvollen Rolle der Katze im
Schauerroman und in der Werbung
Bei der
Katze im angloamerikanischen Schauerromanen, dem Aufsatz der Professorin für
Anglistik und Naturwissenschaften wird es zu einem guten Teil
Tiefenpsychologisch. Kein Wunder, ist doch die Zeit der schwarzen Romantik
ebenfalls die kulturgeschichtliche Phase, in der neben dem Okkultismus und der
Esoterik die Tiefenpsychologie eine Hochzeit erlebte. Bei den „Klassikern,
Klugscheißern und Koautoren“ begegnen uns die Krimikatzen, darunter Francis und
Mrs. Murphy. Hier untersucht die Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Ulrike
Landfester die literarische Funktion, die die/der jeweilige kätzische Protagonist
einnimmt.
„Die Katzen
in der Werbung im 20. Jahrhundert“ zeigen in der Veränderung ihrer Präsentation
und Einsatzes in der Werbung gleichzeitig die Veränderung der Rolle, die die
Katze in der Gesellschaft und Familie einzunehmen beginnt. Clemens Wischermann,
Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte gibt dabei gleichzeitig einen
interessanten Einblick in die Ikonografie der Werbung.
Die Katze wird zum Opfer des
gesellschaftlichen Hygienewahns
Die Aufsätze
„Sozialrationalisierung in Frankfurter Neubausiedlungen (1925 – 1932)“
(Adelheid von Saldern, Prof. für Neuere Geschichte), „Katzen und Katzenschutz
im nationalsozialistischen Deutschland“ (Maren Möhring, Historikerin und
Germanistin) und „Tierschutz und -beherrschung in den 1950er und 1960er Jahren“
(PD für Neuere Geschichte und Sozialgeschichte) haben trotz unterschiedlicher
Schwerpunktthemen eines gemeinsam. Sie zeigen, dass sowohl der moderne
Tierschutz als auch das ambivalente Verhältnis zum Tier in seiner Form als
Nutz- oder Kuscheltier, seine ideologische Quellen aus der Vergangenheit zum
Teil überwunden, zum Teil aber bis heute oft ohne Kenntnis der Ursprünge
tradiert hat. Gerade diese Aufsätze regen katzenunabhängig zum Reflektieren
unseres Verhältnisses zum Tier, sowohl in gesellschaftlichem aber auch im
persönlichen Maßstab an.
Es ist der
Chronologie geschuldet, dass sich zwischen diese Aufsätze der Beitrag zur „Denominationskultur
der deutschen Streitkräfte im 20. Jahrhundert“ von Prof. Lothar Burchardt u.a.
Militärhistoriker, geschoben hat. Hier steht die Namensgebung bei den
Panzerwaffen der Streitkräfte seit dem dritten Reich im Mittelpunkt der
Betrachtungen, die unter den Namen Tiger, Leopard, Jaguar oder Panther bekannt
geworden sind.
Ein facettenreiches Buch über das
Verhältnis des Menschen zur Katze im Laufe der Zeiten
Mit den
letzten drei Aufsätzen „Metamorphose und Halbwesen, Die Cat People – Filme von
Jacques Tourneuer und Paul Schrader von Prof. Kai Kirchmann
(Medienwissenschaftler), „Die Katze als Kind, Ehemann und Mutter?“ von Miriam
Gebhardt (Historikerin) und „Wenn die Katze stirbt“ von Margit Dr. Schreier
(Psychologin) endet das Buch in unserer heutigen Welt.
Nicht alle
Beiträge des Buches beziehen sich ausschließlich auf Katzen. Einige
beschäftigen sich naturgemäß mit Haus- beziehungsweise Wohnungstieren unter
denen die Katze eines ist, aber eben keinen exklusiven Staus hat. Insgesamt
geht es in dem Buch um das Verhältnis des Menschen zu den Katzentieren, ein
Katzenbuch im klassischen Sinne ist „Von Katzen und Menschen“ also nicht.
Gerade deshalb aber ist die Lektüre dieses Buches nicht nur, aber auch für
Katzenliebhaber sehr empfehlenswert. Es erweitert den kulturgeschichtlichen
Horizont und ist für ein Autorenkollektiv, bestehend aus Wissenschaftlern, in
weiten Bereichen erstaunlich unterhaltsam zu lesen.
Clemens
Wischermann (Hg.): Von Katzen und Menschen. Sozialgeschichte auf leisen Sohlen. UVK Verlagsgesellschaft 2007. Broschur,
276 Seiten. ISBN 978-3-89669-626-7
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